Es hinkt, also muss es wohl ein Beispiel sein: Die Frage ist nicht, was du darfst oder sollst. Die Frage ist, ob und wann du eine Mitverantwortung für meine Taten trägst. Das lyrische (d)ich in deinem Beispiel hat in der Realität den potentiellen Täter aus dessen Wohnung vertrieben (ein von ihm besetztes Haus, dessen Eigentümer dem lyrischen ich aber auch egal ist), seine Angehörigen schwer verletzt und angekündigt, ihn seinerseits zu töten. Und du informierst das lyrische ich auch nicht darüber, dass ihn jemand niederstechen will (das weiß es aus naheliegenden Gründen selbst) und auch nicht über eine konkret geplante Einzeltat des Täters (das wäre mein Vorschlag: Deutschland wertet aus und benachrichtigt locker Verbündete, wenn diesen oder Zivilisten in von ihnen geschütztem Gebiet aktue Gefahr droht), sondern du verrätst dem lyrischen ich sämtliche Informationen über das Leben des potenziellen Täters einschließlich seines Aufenthaltsortes in Echtzeit, wohlwissend dass das lyrische ich ihn umbringen will.
Nur dass das die Bundeswehr nicht macht. Die übermittelte Lagedaten sind nicht geeignet, um Ziele auszumachen und anzugreifen. Das sind Informationen der Kategorie "So oder so viele Personen kampffähigen Alters in diesem oder jenem Areal gesichtet, ggf. in Bewegung in diese oder jene Richtung."
Was das für Personen sind und wo sie sich genau aufhalten und was sie vorhaben, muss derjenige, für den der Lagebericht interessant ist, schon selbst mit der für seine Situation und Absicht erforderlichen Präzision herausfinden.
Das ist, also ob du der Polizei mitteilst, dass du mutmaßliche Kriminelle in deinem Wohnviertel gesichtet hast. Du bist nicht unmittelbar dafür verantwortlich, was die Polizei daraufhin macht. Vom Schutz der Bürger vor Ungemach bis zu einer Todesschwadron zur Ausübung von Standrecht ist
theoretisch alles möglich.
Und ja, wenn du davon ausgehen musst, dass die Polizei zur Todesschwadron tendiert, unterlässt du womöglich die Mitteilung, um daran nicht mitverantwortlich zu sein. Aber dann bist eben dafür verantwortlich, wenn durch die Zurückhaltung deines Wissens Menschen zu schaden kommen.
Sprich, jedermann wird abwägen, durch welches Handeln der größere Schaden im Umfeld und am eigenen Gewissen entsteht.
Und das muss die Bundeswehr auch. Sie wägt die Toten durch möglicherweise stattfindende US-Drohnenangriffe gegen das Toten möglicherweise stattfindender Angriffe, Anschläge, Entführungen und sonstiger Übergriffe ab, wenn sie ihre Erkenntnisse weitergibt. Es gibt hierbei keine ethisch einwandfreie Lösung, weil sowohl die Weitergabe als auch die Zurückhaltung von Informationen erhebliche Konsequenzen haben kann.
Für viel schwerwiegender halte ich es, wenn tatsächlich spezifische "Zieldaten" an die USA weitergegeben werden, obwohl man weiß oder zumindest deutlich erahnen kann, dass diese nur sehr einseitig Konsequenzen haben. Bekanntlich haben deutsche Behörden die Daten in Deutschland lebender Personen, teils mit deutschen Pass, an die USA weitergegeben, die daraufhin ihre Greiferkommandos schickten und besagte Personen in Drittländer (mit Folterkästen oder zumindest unbeschränkter Inhaftierung ohne Anklage) entführten.
Das halte ich für sehr eindeutig verwerflich, weil von Personen in Deutschland keine unmittelbare Gefahr für die Empfänger der Informationen ausgeht und weil sich diese Personen im unmittelbaren und ausschließlichen Zuständigkeitsbereich deutscher Behörden befinden.
Aber wenn die USA oder, um beim Thema zu bleiben, Israel präventiv und mit Ansage töten, dann sind deren Informations- und Waffenlieferanten vollkommen unschuldig?
Nein, allerdings schrieb ich das auch gar nicht. Es geht mir nicht um die Schuldfrage, sondern um die jeweils möglichen Alternativen. Und da kann ja glücklicherweise jeder seinen ganz eigenen Standpunkt formulieren.
Ich beispielsweise hätte wenig Bedenken, wenn es um Komponenten für Israels Raketenschild geht, wohl aber, wenn es um Ausrüstungsteile geht, die bei Luftschlägen oder Bodenoperationen in den besetzten Gebieten zum Einsatz kommen könnten - wohl wissend, dass Israel natürlich aus dem Schutz des Raketenschilds heraus auch völkerrechtlich bedenkliche Aktionen durchführen kann.
Im Gegenzug hätte ich kein Problem, Palästinensern einen Raketenschild zu spendieren, ebenso wissend, dass aus dessen Schutz heraus wiederum die Hamas freier operieren könnte.
Auch hier muss ich abwägen und bewerte ich den unmittelbaren Schutz beider Zivilbevölkerungen höher als die damit erweiterte Handlungsfreiheit von Fundamentalisten beider Seiten.
Das Ziel wäre eine grundlegende Waffengleichheit, wobei deren finale Stufe sicherlich die Zweistaatenlösung wäre. Das Argument, dass Israel damit schlechter gestellt würde, da es von islamischen Ländern umgeben ist und deshalb eine Pufferzone bräuchte, hielt ich noch nie für stichhaltig, weil die Weltgemeinschaft unzählige Optionen zur Unterstützung Israels gegen konzertierte Aktionen übelmeinender Nachbarn hätte, Israel ohnehin stärker ist als sämtliche Nachbarn zusammen und um so mehr, wie es in den letzten Jahren eine Annäherung zahlreicher ehemaliger Gegner stattfand.
Zudem wäre ein freier palästinensischer Staat womöglich sogar eine bessere Pufferzone als überfüllte Besatzungszonen, in der sich jeder Dritte der malträtierten Bevölkerung als potenzieller Märtyrer sieht und außer Widerstand nicht viel anderes zu tun hat. Der Aufbau eines Staates bindet Kräfte, die sich jetzt noch ausschließlich mit Israel beschäftigen.
Zudem bindet dieser Aufbau Ressourcen, und wenn der Zustrom letzterer davon abhängig ist, wie friedfertig man sich verhält, kann das durchaus hilfreich sein.
Und nicht zuletzt: Jetzt haben die meisten Palästinenser und deren Organisationen nichts zu verlieren. Aber sobald man etwas zu verlieren hat, agiert man deutlich diplomatischer. Nicht einmal die Hamas wird diejenige sein wollen, deren Aktionen die Palästinenser ihren eigenen Staat gekostet hat.
Die Verknüpfung "... hat nicht, damit ..." ist keine Gleichsetzung. Im Gegenteil, sie kann sogar gegenteilig benutzt werden: "Wir sind nicht 1.000 km an die Nordsee gefahren, damit du jetzt hier auf dem Handy daddelst" setzt eindeutig eine große Sache in Kontrast zu einer kleinen. Von daher kann man aus dem Schild nur zwei Dinge schlussfolgern: Sie hat einen Großvater, der Opfer der Nazi war und sie ist gegen die Bombardierung von Gaza. Der Rest sind Mutmaßungen, die vor allem deine Vorteile wiedergeben, aber nicht ihre Sichtweise treffen müssen.
Das sehe ich ebenso.
Und wenn man schon frei spekuliert, könnte man genauso gut auch wohlmeinend spekulieren: Womöglich hat der Großvater ja Auschwitz überlebt und eine Meinung dazu, was heute geschieht, die er an seine Enkelin weitergegeben hat und welche diese nun stellvertretend auf Kundgebungen öffentlich macht.
Man weiß es einfach nicht.