Ein Elektromotor müsste doch aber über seine deutlich höhere Effizienz gegenüber Verbrennern einen CO2 Nachteil selbst dann "recht schnell" egalisieren, selbst wenn er mit "dreckigem Strom" getankt wird.
Nö. Selbst wenn du 100% von "zu dreckig" nutzt, bleibt es "zu dreckig" und >100% geht nicht. Die Kette Kohlekraftwerk -> Netz -> Ladestation -> Batterie -> Elektromotor -> Straße hat gegenüber der Kette Verbrennungsmotor -> Straße nur einen Vorteil: Ein stationäres Großkraftwerk kann etwas effizienter verbrennen als ein kleiner, mobiler Motor. Aber dieser Vorteil ist so gering, dass auf Langstrecken selbst ein mit Strom aus Gaskraftwerken geladenes Batterieauto knapp gegen einen Methanverbrenner verlieren kann. Mit laufenden Braunkohlekraftwerke gegen Benziner? Keine Chance.
Braunkohle liefert einen Heizwert von rund 0,85 kWh pro kg CO2;
Benzin von rund 3,7 kWh pro kg CO2 kWh pro kg. Einfach weil Benzin zu erheblichen Teilen aus Wasserstoff besteht und Kohle eben nicht. Ein normales Kohlekraftwerk kommt auf 40-43% Effizienz, nach Leitungs- und Ladeverlusten landen also maximal 35% der chemischen Energie am Rad des Batterieautos. Im Best Case also werden aus 0,85 kWh[therm] also 0,3 kWh[mech] pro kg CO2. Bei ineffizienter Ladung können es auch mal nur 30% oder weniger sein. Das schafft sogar ein KFZ-Verbrenner im Best-Case, wenn er auf der Langstrecke gleichmäßig gefahren wird. Die geringere Effizienz seines kleinen Motors kann also schon durch den Verzicht auf die ganzen Zwischenschritte, die für ein Batterieauto nötig sind, kompensiert werden und in Verbindung mit dem viel saubereren Brennstoff ergeben sich dann 1,1 kWh[mech] pro kg CO2. In der Praxis realistischer sind knapp 25%, das wären dann immer noch 0,9 kWh[mech] - also das Dreifache dessen, was Kohlestrom im Batterieauto bewirkt schafft. Dieser Vorsprung ist so groß, dass selbst eine Nutzung von weiteren 35-40% der Kohlewärme im Rahmen von Kraft-Wärmekopplung den Laden nicht retten kann (0,6 kWh Nutzenergie pro kg CO2).
Einzig bei Stop & Go, wo die Effizienz von Verbrennern sowohl auf Seiten des Motors als auch auf Seiten der Fahrzeugtechnik (keine Rekuperation) stark absackt und sich die Systemeffizienz noch einmal mehr als halbieren kann, sind Batterieautos dem normalen Verbrenner auch mit Kohlestrom überlegen. Rein mit Blick auf CO2 unterliegen dann aber natürlich Hybridfahrzeugen, denn die können ihren Benziner im optimalen Betriebszustand halten und vernichten selber schlimmstenfalls 5-30% von dessen Energie, was in der Summe nicht annähernd der Effizienzhalbierung beim reinen Stadtverkehrsverbrenner entspricht. (Für den reinen Innenstadtverkehr habe ich dennoch Batterieautos empfohlen, wo es unvermeidbar ist, einfach weil da neben der Klimawirkung auch Lärmemissionen und die Konzentration von Stickoxiden eine Rolle spielen. Die müssten beim Verbrenner zwar beide kein Problem sein, aber wegen dem Verhalten der meisten Autohersteller und Autofahrer sind sie es halt trotzdem.)
Anm.: Rechnung wie üblich ohne Berücksichtigung der Brennstoffgewinnung. Für Öl kenne ich da weiterhin nur wirr schwankende Zahlen von stark einseitigen Lobbygruppen in die eine oder die andere Richtung und rechne privat im Hinterkopf mit 5-10% Aufschlag. Macht hier den Kohl aber sowieso nicht fett, weil der Abstand riesig ist und die Umweltschäden durch Braunkohletagebaue ziemlich offensichtlich. Zum Zünglein an der Waage werden solche Aspekte, wenn wir die Kohlekraftwerke abgeschaltet haben und über den Ausstieg aus fossilem Gas reden, aber das dauert noch mindestens 10-15, vermutlich eher 20+ Jahre. (Vielleicht gibt es bis dahin auch belastbare Zahlen.)
Der "deutsche Windsommer" 2022 ging allen Einvernehmens vom Juni bis zum September. Jedoch ist der Anteil Erneuerbarer außerhalb dieses Zeitraums höher und der Strom mithin sogar weniger dreckig:
Mag im Schnitt hinkommen, aber die Leitungen waren zumindest vor ein paar Jahren noch praktisch immer aureichend, um den reinen Windstrom aus Norddeutschland abzutransportieren. Auch wenn im Herbst der Wind rund um die Uhr etwas stärker weht und daher den Gesamtschnitt im Netz grüner macht. Knapp werden die Übertragungskapazitäten erst, wenn zusätzlich die Mittagssonne auf die Solaranlagen knallt. Das macht im 24-Stunden-Schnitt den Kohl nicht fett, kann aber zu einer Überlastsituation für ein paar Stunden führen, in denen man hinterm nordfriesischen Deich dann tatsächlich mit grünem Überschussstrom laden kann. Aber das bringt 99% der Autokäufer halt wortwörtlich nicht weiter und es ist immer noch ein "kann". Ich habe nicht gesagt dass das jedes Jahr überhaupt der Fall wäre oder gar so häufig, dass man die Spuren davon in Monatsstatistiken sehen könnte.
Der Anteil steigt jedoch - zwar viel zu langsam, darin sind wir uns wohl einig - aber er steigt.
Sprich, deine These wäre genau dann triftig, wenn spezifisch für Elektromobilität ab 2035 mehr Kohlereserve ans Netz gehen würde - nun weiß ich nicht, wie genau deine Kristallkugel ist, aber meine zeigt da eine ganze Reihe möglicher Ausgänge, von denen ein anhaltendes Kohle-Revival eher nicht der wahrscheinlichste ist.
Nein. Meine These ist in dem Moment richtig, in dem Kohlereserven 2022 "spezifisch" zur Füllung von Verbrauchslücken ans Netz gehen. Und das tun sie. Hätten wir weniger Verbraucher, müssten sie das nicht. Und das ist vollkommen unspezifisch bezüglich der Art des Stromverbrauchers - jeden den man in einer Situation einspart, in der ein Kohlekraftwerk abgeschaltet werden könnte, spart die CO2-Emissionen dieses Kraftwerks ein, wenn man ihn tatsächlich vom Netz abschaltet (am besten natürlich ersatzlos, aber auf elektrischer Seite passt die Gleichung auch, wenn man ihn durch einen Nichtstrom-Verbraucher ersetzt).
Und nur darum geht es: CO2-Emissionen einsparen.
"Grün fahren" ist nur Weg zu diesem Ziel, kein Selbstzweck. Und ohne massivem EE-Ausbau, wie er innerhalb der Lebensdauer heute gekaufter Autos nicht kommen dürfte, ist es ein denkbarer, kein funktionaler Weg.
Behalten wir dabei gerne im Hinterkopf, dass knapp 31 Prozent unseres Stroms aus Kohle erzeugt werden. Über den genauen Anteil der Kohle am Stromüberschuss finde ich nichts, ich gehe aber davon aus, dass dieser eher unter dem Gesamtanteil liegt, da Überschüsse eher im weniger steuerbaren erneuerbaren Segment entstehen. Und ein wenig wird den Schlotbaronen ja mittlerweile doch auf die Finger geschaut.
Welcher Anteil des erzeugten Stroms als Überschuss zählt, hängt davon, welchem du dem Verbrauch zurechnest. Wenn 31% Kohlestrom und 41% erneuerbarer Strom im Netz sind (und weiteres, worum wir uns im Beispiel nicht kümmern wollen): Bist du dann dafür, dass die Nicht-Batterieautos, also die stationären Verbraucher, den erneuerbare Strom links liegen lassen und sich auf den Kohledreck stürzen? Wäre das Klimaschutz, wenn stationäre Verbraucher vorrangig Kohlestrom abnehmen? Ganz sicher nicht. Die sollten nach aller Möglichkeit sauberen Strom nehmen und da sie (im Gegensatz zum Batterieauto) permanent an der Leitung hängen, machen sie das auch nach Kräften. Von den 41% landet also nahezu gar nichts im Überschuss. Da bleibt nur das drin, was niemand haben will (oder zumindest niemand haben wollen sollte): Der dreckige Kohlestrom mit einem Anteil nahe 100%.
Das es nicht ganz 100% ist, liegt tatsächlich an den manchmal schlecht vorhersehbaren Leistungsspitzen der Erneuerbaren. Wenn die 41% bringen, wo 40% erwartet wurden, kommt es halt zu den berühmten Kurisoa mit negativen Strompreisen. Aber das ist in den letzten Jahren afaik nur für zusammengerecht wenige Stunden (!) der Fall gewesen, weil dann in erster Instanz immer noch die Gaskraftwerke runtergeregelt werden. Dieses Jahr kam das noch gar nicht vor, die niedrigste Gaskraftlieferleistung waren 1,2 GW (
16.07.22 15:45 für die, die es genau wissen wollen). Unser positives Exportsaldo stellt somit auch keinen "Überschuss" dar, sondern war schlicht Stromproduktion für andere Länder. Wer diesen Strom für Batterieautos nutzen will, müsste die gleiche Betrachtung EU-weit aufziehen (und das will man als Batterieauto-Fan bestimmt nicht, denn die osteuropäischen Dreckschleudern ziehen alles runter.)
Das heißt: Man kann alternativ natürlich auch Frankreich den Strom abstellen, aber den Weg in eine schönere Zukunft wird dieses Konzept nicht weisen und in der zweiten Jahreshälfte sind Braun- und die etwas bessere Steinkohle zusammen sogar nie unter 6 GW gefallen. Wir haben also eine Grundproduktion von mindestens 50 TWh durch erneuerbare zu ersetzen, ehe überhaupt ein einziges Mal im Jahr ein zusätzlicher Verbraucher saubereren Grenzstrom bekommt, als den Dreck den Kohlekraftwerke ausspucken. Das entsprich 9% des Gesamtstromverbrauchs respektive es erfordert eine Steigerung der Produktion erneuerbarer Energien um 20% gegenüber dem, was wir in den letzten 25 Jahren aufgebaut haben.
Um wenigstens grob die Hälfte der Zeit nicht-komplett-dreckig zu laden, wäre sogar doppelt so viel nötig und da reden wir immer noch nicht vom Gasstrom, der unter Berücksichtigung der Methanemissionen auch nicht gerade klimafreundlich ist. Mit dem zusammen stehen weitere 18 GW für "die Hälfte der Zeit" und über 35 GW zu Spitzenverbrauchszeiten auf dem Wunschzettel.
Das sind 157 respektive 306 TWh. Zum Vergleich: Wind und Solar haben 2021 162 TWh gesprochen, wir reden also von einer Verdoppelung bis Verdreifachung der heutigen Produktionskapazitäten, nur um den bestehenden Stromverbrauch clean zu bekommen. Wenn das geschafft ist, dann kann man darüber reden, weitere Bereiche von ihrem bisherigen Energieträger auf "mehr Stromverbrauch" umzustellen, um sie zu Decarbonisieren. Bis dahin lohnt sich das nur, wenn man gezielt nicht-einspeisbaren Überlast-Grünstrom nutzt. Aber ist für ein mobiles, ganzjährig genutztes Gerät halt kaum möglich. Das muss mit dem laden, was es gerade gibt dort und dann, wenn man laden muss. Und da hat (fast) nie jemand etwas sauberes übrig, für dass es nicht längst einen anderen Abnehmer gäbe.