Eine Liste frei verfügbarer Informationen ist für mich nicht automatisch eine Feindesliste. Wir sollten da zumindest unsere Definitionen abgleichen, wenn es (leider) schon keine offizielle Trennschärfe gibt.
Eine Liste von ohnehin öffentlichen auftretenden Personen und deren Handlungen halte ich wiederum für in Ordnung. Hinterfotzig wird es beispielsweise dann, wenn recherchierte Privatanschriften beigefügt werden, weil diese keinen Nutzen im Rahmen des unterstellten Verwendungszwecks der Liste bringen. Oder ist das zweifelhafte Verhalten von Lobbyisten davon abhängig, wo sie und ihre Angehörigen und ggf. weiter unbeteiligte Personen wohnhaft sind? Hingegen ist es selbstverständlich legitim, offizielle Kontaktanschriften und -möglichkeiten zu listen.
Ganz und gar unmöglich wird es, wenn die Liste mit zweifelhaften Aufrufen verbunden wird, wofür man sie doch bitte nutzen möge. Es ist legitim, Personen im Rahmen ihrer Funktion mit (sinnvollen) Anfragen zu bombardieren, aber beispielsweise nicht, ihnen tote Fische zu schicken oder sie anderweitig seelisch und körperlich zu terrorisieren.
Im Fall Walter Lübcke irrst du übrigens. Der Täter hat sich zwar sein Ziel nicht aus einer Liste ausgesucht, sondern aus direkter Wahrnehmung der offiziellen Auftritte von Herrn Lübcke, aber dessen Wohnanschrift hatte er nach eigenen Anggaben "gegoogelt". Die Wohnanschriften von PEPs stehen jedoch nicht in öffentlich zugänglichen Adressdatenbanken, also wird er wohl eine Liste ergoogelt haben.
Und selbst wenn nicht, muss davon ausgegangen werden, dass es für den Täter bestärkend gewirkt hat, dass sein Opfer in der ganzen Szene als "Feind" geführt wurde. Persönlicher Ärger über die Aussagen Lübckes hätte sich womöglich weniger drastisch geäußert als die empfundene Legitimation, quasi den "Volkswillen" (in sehr selektiver Wahrnehmung des Volksbegriffs) zu erfüllen.
Und damit sind wir beim eigentlichen Problem: Wer so eine Liste erstellt, mag keine oder zumindest keine unmittelbar strafbaren Absichten haben, gibt aber die Kontrolle über die Zusammenstellung in dem Moment auf, in dem die Liste öffentlich wird.
Das zweite große und bereits genannte Problem der fehlenden Differenzierung besteht aber grundsätzlich: Diese Listen kommen selten mit ausführlichen Erklärungen, wie es jemand auf selbige geschafft hat. "Der oder die ist gegen uns" wird damit verallgemeinernd zementiert und verhärtete Fronten geschaffen. Selbst wenn es nicht zum Äußersten kommt, wie soll jemand, der beispielsweise wegen punktueller oder maßvoller Kritik auf einer Feindesliste stehst, noch mit der Gegenseite ins Gespräch kommen, um die Konfliktpunkte abzuklären und womöglich zu entschärfen?