Lieber Sven,
es freut mich, dass Deine Artikel in der Community so gut ankommen – das zeigen ja auch schon die ersten Abstimmungsergebnisse.
Du kennst sicherlich meine Meinung aus verschiedenen Postings. Ich wünsche mir schon lange, dass die Linux-Entwickler-Community mehr konstruktive Kritik erhält, insbesondere was die überbordende „Buntheit“ von Linux betrifft. Das Bazaar-Prinzip, bei dem es eine Fülle von Anwendungssoftware gibt, ist in gewisser Weise nützlich. Aber ich finde, was das Betriebssystem selbst angeht, wäre weniger oft mehr. Qualität erfordert Standardisierung, und auch nach all den Jahren ist Linux im Kern noch immer nur ein Kernel. Die Tatsache, dass es inzwischen fast 1000 Distributionen gibt, hat mit Qualität und Konsistenz nichts zu tun – das ist doch offensichtlich.
Nach über 35 Jahren Erfahrung mit Unix – sowohl als Internetentwickler, Berater, ehemaliges Mitglied eines Unix Entwicklerteam, als auch als Nutzer – sehe ich den Erfolg von Linux mit gemischten Gefühlen. Ich freue mich, dass das Konzept von Unix so lange überlebt hat und auch außerhalb des Serverbereichs geschätzt wird. Gleichzeitig finde ich es schade, dass viele der ursprünglichen Prinzipien, wie KISS („Keep it simple, small“), verloren gegangen sind. Diese Fragmentierung des Betriebssystems und der Umstand, dass Linux nach so vielen Jahren im Wesentlichen nur ein Kernel geblieben ist, empfinde ich als bedauerlich.
Mein Traum wäre es, dass eines Tages alle Applikationen, die ich benutze, auch unter Linux verfügbar sind. Aber der Weg dahin ist durch die unüberschaubare Anzahl an Distributionen, mit all ihren Vor- und Nachteilen, steiniger denn je. Die Qualität, die im BSD-Bereich schon seit Jahren geboten wird, sehe ich bei Linux nicht annähernd erreicht.
Vielleicht findest Du ja in Deinen Artikeln gelegentlich Raum für kritische Worte zu diesem „Distributionschaos“. Wenn die Problematik in den Online- und Printmagazinen niemand anspricht, wird die Fragmentierung weiter zunehmen, was Linux in meinen Augen nicht voranbringt.
Ich hatte gehofft, dass auch Linus Torvalds das stört und er vielleicht eines Tages anerkennt, wie vorbildlich schlanke und qualitativ hochwertige Systeme im BSD-Bereich entwickelt werden und selbst ein Linux als Komplettsystem herausbringt und mit einem Entwicklerteam als Gesamtsystem maintained.
Plus ausgefeiltem Paketmanagement, was von höherem Wert wäre, ein System nach eigenen Wünschen zu erweitern, anstatt für jedwede Kombination von Software immer mehr Distributionen herauszubringen, die dann alle Ihre Eigenarten und Fehler haben.
Doch die Vorstellung, dass Linux sich zu einem vollwertigen, hochqualitativen System entwickelt, das die klassischen Unix-Stärken vereint und ein vergleichbares Angebot kommerzieller Software böte wie Windows, scheint nach wie vor in weiter Ferne zu liegen.
Meine Vermutung ist, dass diese Diversität (fast 1000 Linux Distributionen) vielen Firmen nicht geheuer ist.
Darum mein Ruf nach Standardisierung hinsichtlich eines vollumfänglichen Linux Gesamtsystems, um einer wirklichen Windows Alternative den Weg zu ebnen. So schön Open Source ist, in bestimmten Bereich kommst Du an kommerziellen Applikationen nicht vorbei und Wine deckt nicht alles ab.