Die Frage ist sehr interessant.
Ich vermute jedoch, dass diese Kategorien nicht relevant für sein Handeln sind, denn ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass bewusstes Morden selbst in seinen Augen "gut" ist. Immerhin mimt er ja regelmäßig auch den Gläubigen.
Aber ab hier wird es sehr schwierig - "Glaube und Mord" stehen historisch (Kreuzzüge, Inquisition) und ganz aktuell (islamistischer Terrorismus) ja auch nicht unbedingt im Widerspruch zueinander.
Er hat sich in meinen Augen ein klares persönliches Ziel gesetzt:
In die Geschichtsbücher Russlands einzugehen als starker Herrscher, der das Territorium (die "Größe") seines Vaterlandes gemehrt, den vermeintlichen imperialistischen Feinden (USA, NATO, Westen) erfolgreich die Stirn geboten hat und in einer Reihe mit den großen geschichtlichen russischen Herrschern steht. Die Vorbilder sind ja bekannt.
Nicht nur in deinen Augen. Er hat mehrfach das Ende der Sowjetunion beklagt und gemessen an seinem Umgang mit Minderheiten innerhalb Russlands sowie dessen Nachbarn sieht er erstgenannte offensichtlich nicht als Union sowjetischer Völker, sondern als russsisches Reich. Alle seine Eroberungen bisher wurden demgemäß als Rückholung/Wiedervereinigung gefeiert und legtimiert, er ist ganz eindeutig dabei, das (vermeintliche) Großrussland seiner Jugend wiederherzustellen. Möglicherweise auch darüber hinaus den russische kontrollierten Ostblock als ganzes; zumindest gegenüber der NATO erhebt er ja Machtanspruch auf das gesamte Territorium des Warschauer Pakts bis mindestens an die Oder-Neiße-Linie.
Das er dafür über Leichen, Menschenrechte und Wahrheit geht, dürfte ihm keine Sorgen bereiten. Er ist Geheimdienstler, hat den Zweck also schon immer über die Ehrlichkeit gestellt und mutmaßlich Erkenntnisse über die Grundrechte anderer. Und er ist lupenreiner Nationalist, für ihn steht die Nation über dem Leben einzelner oder auch dem Leben tausender. Dementsprechend tut er aus seiner Sicht gerade genauso "das Richtige", wie es Hitler aus seiner Sicht 1944 getan hat.
Glaube würde ich in dem Rahmen übrigens als Mittel zum Zweck betrachten. Putin selbst hat sich nie übermäßig religiös gegeben und der Schulterschluss mit der orthodoxen Kirche kam auch erst spät. Wenn da nicht jemand eine religiöse Erleuchtung hatte, dann hat er sich mit Kyril einfach einen weiteren Verbündeten neben den Oligarchen, der Armeeführung, den Geheimdiensten, der Mafia, den Medien, etc. gesucht. (Die Anti-Säkularisierung unterstreicht übrigens nochmal, dass er russischer Nationalist und nicht Sowjet-Nostalgiker ist.)
Kurz und knapp: wenn die Politik/Politiker versagen kommt es zum Krieg!
"die Politik" steht im von dir zitierten Text. "die Politiker" hast du daraus gedichtet und das ist eine sehr fragwürdige Erweiterung der ursprünglichen Aussage. De facto reicht nämlich !ein Politiker! aus, damit es zu Krieg kommt.
Anmerkung an der Stelle: Ich habe übrigens auch nach längerer Recherche keinerlei Hinweise gefunden, dass Kofi Annan sowas gesagt hat. Es gibt sehr wenige Zitat-Zirkelschlüsse und tonnenweise ausschließlich deutsche, quellenlose Zitatwebseiten, die den ewig gleichen Wortlaut wiederkäuen, was nahelegt, dass die auch alle nicht selbst aus einem mutmaßlichen englischen Original, sondern nur einander zitieren.
Fragmente der Clausewitz-Vorlage in ihrer gängigen englischsprachigen Fassung wurden dagegen scheinbar nie im Dunstkreis Kofi Annans aufgezeichnet. Die beste Annäherung, die ich finden konnte und die nachweislich von Kofi Annans stammt, wäre
"If war is the failure of diplomacy, then diplomacy, both bilateral and multilateral, is our first line of defence. The world today spends billions preparing for war; shouldn’t we spend a billion or two preparing for peace?"
Hat er aber schon 1997 gesagt, als in Moskau noch abgerüstet wurde, anstatt Eroberungskriege vorzubereiten.
Hier ist schon der entscheidende Fehler:
Wer sagt, dass der Krieg nicht richtig ist und er mit politischen Mitteln sofort beendet werden muss, ist nicht automatisch auf der Seite der Russen.
Wer der Meinung ist, dass nicht alles was auf der Welt böses passiert dem Russen anzulasten ist, ist nicht automatisch auf der Seite der Russen.
Wer der Meinung ist, dass der Krieg aus politischen Versagen - vgl. Zitat in der Signatur - entstanden ist, ist nicht automatisch auf der Seite der Russen.
Wer der Meinung ist, dass einige Darstellungen über die Russen nicht korrekt sind und diese versucht richtig zu stellen, ist nicht automatisch auf der Seite der Russen.
Aber ...
... wer regelmäßig fordert, suggeriert und nahelegt, dass die Ukraine kapitulieren und die NATO nach Putins Pfeife tanzen soll, DER IST auf der Seite der Russen.
Meinungsfreiheit bedeutet Kommunizieren und Akzeptieren. Man kann auch diskutieren, wenn man eine andere Meinung hat. Aber sobald eine Diskussion nicht sachlich geführt und durch verschiedene Mittel unterbunden oder abgewürgt wird, verliert sich die Meinungsfreit in eine Gleichstellung.
Meinungsfreiheit ist zunächst mal nichts weiter als die Freiheit, eine Meinung zu haben und sie privat zu äußern. Sie öffentlich zu verbreiten ist schonmal was deutlich anderes und spätestens dann keine Frage der Freiheit mehr, sondern eine der Rechtmäßigkeit, wenn diese Meinung faktenferne Unterstellungen beinhaltet. Und an dieser Stelle endet dann auch die Kommunikation. Man kann Fakten austauschen. Man kann Interpretationen diskutieren. (Zumindest wenn der Gegenüber dazu bereit ist und kritische Antworten nicht entweder konsequent ignoriert oder als Anlass nimmt, neue Suggestivfragen, Whataboutims und andere Nebelkerzen zu schmeißen, anstatt sich einem kontroversen Austausch zu stellen.)
Aber Lügen und Falschdarstellungen kann, soll und muss man bekämpfen. Und Lügner und Hetzer gleich mit.