Stimmt, Hartz IV in dem Sinne gibt es in den USA nicht. Dafür gibt es dort aber auch verschiedene Sozialhilfeprogramme, wie z.B. Medicare oder Medicaid, welche seit den 60er Jahren kontinuierlich erweitert wurden. Für Familien, die unterhalb der Armutsgrenze leben, gibt es noch zusätliche Sozialleistungen wie welfare payments, mit denen man sich Lebensmittel und Kleidung kaufen kann. AFDC ist eines der bekanntesten Sozialversicherungsprogramme in den USA, was eine Art Familienbeihilfe darstellt.
Wie gesagt, auch in den USA gibt eine soziale Versorgung, nur ist diese weitaus geringer ausgeprägt als z.B. in Deutschland oder Skandinavien.
Was es auch noch gibt, ist eine Rate von Raubüberfällen, Einbrüchen, Drogenhandel,..., die afaik deutlich über der von allen anderen Ländern mit einem vergleichbaren durchschnittlichen Einkommen liegt.
Unser Modell der Transferleistungen ist meiner Meinung nach eh ueberholt.
Ich halte das Modell der negativen Einkommensteuer fuer wesentlich sinnvoller.
Abgesehen davon, dass es nicht abgestuft (aber das werden Politiker nie und an keiner Stelle begreifen, dass die Realität graduell verläuft und System auf graduellen Mechanismen basiert...), ist HartzIV da ja gar nicht soweit weg - es werden nur erhebliche Summen in eine alternative Verwaltung und Überwachung investiert...
Im uebrigen ist es so dass nur ein geringer Teil der Arbeitslosen dauerhaft Arbeitslos bleibt, der groesste Anteil der Erwerbslosen flukuiert, sprich manche Arbeitslose finden Jobs andere Leute werden arbeitslos.
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist mitlerweile auch nicht mehr wirklich klein und es gibt eine große Dunkelziffer von Leuten, die immer mal wieder als Saisonkräfte oder über ABM-Maßnahmen aus der Statistik fallen, de facto aber seit vielen Jahren keinen echten Job mehr hatten (und vermutlich auch nie wieder einen kriegen werden).
Das einzig wirklich unfaire an unserem System ist meiner Meinung nach das Bildungssystem.
Kinder aus armen Familien bleiben auch meistens arm weil ihnen durch das intransparente Bildungssystem die Chance genommen wird etwas zu erreichen wenn sie einmal unten angekommen sind.
Wobei ich da ganz ehrlich sagen muss, dass sich nach meiner Beobachtung nur sehr sehr wenig aus finanziellen Problemen resultiert*.
Trotz der mitlerweile recht hohen Ausgaben, die man für die "kostenlose" Bildung aufbringen muss, treten an den Schulen und zum Großteil auch an den Unis alle mit der gleichen Grundversorgung an - sei sie nun aus Dividenden, Erbschaften oder Staatshilfe finanziert.
Der Unterschied tritt nur an zwei Punkten zu Tage:
- Nachhilfe, bei der in manch unwilligen oder durchs die Lücken der Schulpädagogik gefallenen mitlerweile Summen investiert werden, die durchaus über dem HartzIV-Satz liegen.
- Motivation/Unterstützung(/Zwang). Wenn man sich mit Leuten unterhält, die vollen Ernstes die Meinung vertreten, "Hauptschulabschluss reicht doch" (weil sie selbst vor 40 Jahren so Erfolg hatten), dann erwartet man beim Kind auch nicht den Ergeiz für ein 1,xer Abi.
Das fällt dann aber wieder in den Bereich Erziehung...
(und der Rest in den Bereich "Schulsystem", wo ich auch ne deutlich andere Meinung hab)
*: Seit der Einführung der Studiengebühren vielleicht doch eher "resultierte"...
Ein bisschen richtig, ein bisschen falsch. Falsch, weil es naiv ist zu glauben, hoehere Sozialleistungen wuerden von ihren Empfaengern in berufliche Weiterbildung investiert werden.
Das glaube ich auch nicht.
Aber wenn ich Leute in ein Wohnghetto am Stadtrand (oder gleich ausßerhalb) abschiebe, so dass sie ein-zwei Stunden laufen müssen, ehe sie *irgendwo* ankommen (in einem Zustand, der vom Wetter abhängt, aber selten einen Arbeitgeber beeindruckt) und sie mit einer Summe versorge, bei der sie 4h am Tag mit dem abklappern von Discountern und der Suche nach Angeboten verbringen müssen, dann brauch ich mich nicht zu wundern, dass die 10 Bewerbungen, 2 Vorstellungsgespräche und eine Weiterbildungsmaßnahme am Tag absolvieren. Ich hab einfach den Eindruck, dass die meisten Leute, die nie die Lebensumstände eines HartzIVers erlebt haben, der Meinung sind, man könne das Geld beliebig zusammenstreichen wenn jemand nur ein Zehntel des eigenen Einkommens hat, dann hat er halt ein Zehntel des Lebensstandards und gut ist.
Aber das ist nunmal falsch, es gibt einen gewissen Mindestbetrag, der einfach anfällt - und da ist HartzIV in vielen Fällen verdammt nah dran. Auf dem Niveau hat man dann einfach dringenderes zu tun, als ne Arbeit zu bekommen.
(was nicht heißt, dass es da vielen Leuten mit richtigem Wirtschaften besser gehen könnte. Aber die Zahl derjenigen, die mit Geld umgehen können, ist unter Arbeitslosen halt auch nicht größer, als unter Politikern oder Topmanagern
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Falsch aber vor allem, weil die eigentliche Kernfrage niemand stellt: wann ist die Gesellschaft sozial? Ist es wirklich sozial, ueber die Hoehe der empfangenen Leistung zu wehklagen und die zu verdammen, von denen dieses Geld stammt, gleichzeitig aber angebotene Arbeit als unzumutbar auszuschlagen und gemeinnuetzige Taetigkeit mit Reichsarbeitsdienst zu vergleichen?
Sozial ist einseitig und ohne Gegenleistung definiert.
Und dann das Gebrabbel von der Binnennachfrage als ultimativem Problemloeser. Welches in Deutschland produzierte Gut wuerde in signifikantem Masse staerker nachgefragt werden, wenn es ab morgen €100,- mehr "Hartz IV" gaebe? Wie hoch muessten soziale Transferleistungen sein, um eine genuegende Nachfrage nach Containerschiffen und Linienbussen zu erzeugen?
Jeder €, der ueber die sozialen Transfersysteme ausgeschuettet wird, fehlt fuer Standortpolitik.
Standortpolitik wird auch nicht für Bedarf an Containerschiffen und -iiiiiihhh Öko Mentalität sei dank- auch nur selten für Bedarf an Linienbussen sorgen.
Dass in Deutschland bevorzugt Industrie unterstützt wird, die Produkte herstellt, die sie im Ausland vermarkten muss, wärend immer größere Teile der Bevölkerung auf einem Gehaltsniveau leben, bei dem nur noch veröstliche Billigwahre in Frage kommt. (aber Philipinische Näherinnen freuen sich auch über jeden €, der aus Deutschland verschwindet. Und mit viel Glück wird davon dann auch mal ein Matrose ausgebildet, dem eine deutsche Reederei noch mehr Geld gibt um auf in Japan gebauten Containerschiffen zu arbeiten)
P. S. Ach ja. Die derzeitige Krise wurde durch eine implodierte Spekulationsblase ausgeloest - es wurden Gelder ausgeschuettet (als Darlehen), fuer die es keine realen Gegenwerte gab. Dafuer wird der Kapitalismus ja auch von links und rechts nach Kraeften verdammt. Witzigerweise (Realitaetsverweigerung trifft es wohl besser ...) kommt von denselben Raendern aber die Forderung, die Krise mit ebendiesem Instrument einzudaemmen - naemlich mit der Ausschuettung von Geld, dem keine Werte gegenueberstehen. Quasi eine Sozialstaatsblase. Lediglich der Verteilmechanismus wuerde geaendert (statt Banken nun Aemter) ...
Noch viel witziger finde ich, dass diese Forderungen nicht nur von (sozialistisch) links und rechts, sondern auch von liberal bis konservativ kommen und das bißchen, was in der Mitte übrig bleibt, auch fleißig drauf hört.