Wisst ihr, warum Anonymous weltweit sich so sehr für die Ukraine einsetzt, dass russische Staatsbetriebe sogar von Hackern aus Polen, Ecuador und Brasilien gehackt werden? Nicht, weil wir unbedachte junge, Pizza fressende Kellerkinder sind, die stumpfsinnig wie in “Wargames” ein Thermonuklearkrieg-TicTacToe spielen wollen. Der Grund ist, dass wir seit 2014 auf Putin schauen – und auf die weltweiten Auswirkungen seiner Politik und seiner Doktrin.
2014 war die erste Ukraine-Krise. Russland annektierte die Krim. Und in Deutschland begannen “Mahnwachen für den Frieden”, auch Montagsmahnwachen genannt. Diese “Wahnwichtel”, wie sie bei uns genannt wurden, machten die USA für die Krise verantwortlich, oder genauer: ein weltumspannendes System des Finanzkapitalismus, ausgehend von der Federal Reserve Bank, den Rothschilds und anderen “sehr mächtigen Individuen”. Struktureller Antisemitismus? Ja. interessierte aber damals Unterzeichner wie Reinhard Mey und Sahra Wagenknecht nicht.
Medien waren für diese Leute Manipulationsinstrumente dieses Systems. Das Internet war ihr Vehikel, um Gegenöffentlichkeit zu erzeugen. Es waren Leute wie Ken Jebsen, Jürgen Elsässer, Andreas Popp und einer, der sich als einer von uns ausgab, Mario Rönsch, die diese Verschwörungsideologie der Wahnwichtel durch Agitation mit Leben füllten.
Auch RT Deutsch, der deutsche Abkömmling von RussiaToday war damals schon dabei. Russsische Propaganda, sie hatte zu diesem Zeitpunkt Fahrt aufgenommen, und zwar in der gesamten westlichen Welt. Wir finden Kremlinge und Putinisten in Spanien, Ecuador, Mexiko, den USA, Deutschland, Frankreich, Holland, in Schweden, Finnland, bei den Schwurblern, den Reichsbürgern, den Anastasia-Anhängern, der OCG, den Impfgegnern, bei zahlreichen Truthern und in vielen politischen Parteien.
Von Russland finanzierte Medien wie Russia Today lancierten Fake News, die von einer wachsenden Anzahl von Menschen geglaubt wurden, weil Leuten wie Tucker Carlson auf Fox News oder Jürgen Elsässer sie verbreiteten. Viele Namen von damals begegneten uns bei Operation Tinfoil wieder, denn die Verschwörungsideologien wurden nicht weniger, sie wurden mehr, ausgefeilter. Sie schafften es, gleichzeitig selbst Antisemitismus zu verbreiten und die westliche Welt als Hort von Nazis zu framen. Einige Schwurbler machen daraus, dass Juden die Nazis sind, etwas, dass Russlands Außenminister Lawrow gerade im italienischen Fernsehen ebenfalls als “Argument” vorbrachte, für ihn hatte Hitler jüdisches Blut. Und er hält die Juden für die schlimmsten Antisemiten.
Das wird auch hier in Deutschland erzählt. In Deutschland wünschen sich viele von den “Spaziergängern”, dass Putins Armeen gleich bis nach Berlin durchmarschieren. Oder wenigstens bis Sachsen. Vieles, was wir in den vergangenen zwei Jahren an Coronaleugnung und Maskenverweigerung, an Wissenschaftsleugnung und Medienkritik sahen, das nahm seinen Anfang in 2014.
Was wir der deutschen Politik quer durch die vier Parteien, die irgendwann in den letzten 20 Jahren an der Regierung waren, vorwerfen: Sie haben sich nicht die Mühe gemacht, Putin zu durchschauen. Nicht als er an die Macht kam, er, der als Ex-KGB die deutschen Befindlichkeiten – und ihre Ängste – gut kennt und beurteilen konnte; nicht, als seine Truppen ohne Kennzeichnung die Krim annektierten und damit de facto die Ukraine in einen vom Westen stillschweigend tolerierten Krieg zog.
Russische Kanäle und Fernsehsender innerhalb und außerhalb Russlands begannen, eine Ideologie zu verbreiten von einem unterdrückten Russland, angelblich umzingelt von der NATO. Doch nicht nur das. Die von Putin vertretene Ideologie geht noch weiter: Sie propagiert, dass der Westen das Christentum verraten habe.
Die Welt ist korrupt, behauptete im letzten Jahrhundert Iwan Iljin, und sie müsse von einer heiligen Nation gerettet werden. Für Putin ist Russland diese heilige Nation. Das verleihe ihm eine Art der moralischen Überlegenheit, meint er, die es auch erlaubt, sich als Machthaber über Gesetze hinwegzusetzen und Europa zu reinigen, seine Kritiker mit Gift, verstrahltem Material oder durch Kopfschuss im Berliner Tiergarten zu beseitigen. Und einen Drehbuchautor namens Tichon Schewkunow einzusetzen, der den Russen über die staatlichen Medien diesen säkular-singulären Weg vorbetet.
Wenn Medwedjew, der ehemalige Präsidenten-Premier, von einem “geeinten Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok” redet, was glaubt ihr, was er damit meint? Glaubt ihr, er hat nur Aleksandr Dugins “von Dublin bis Wladiwostok” falsch zitiert?
Russische Thinktanks und Demagogen arbeiten schon lange an der Verbreitung einer gegen den Westen, gegen Europa gerichteten Ideologie. Was meinen die Russen, wenn sie sagen, die Ukrainer müssten unter russischer Kontrolle umerzogen werden, damit sie wieder ihren Weg, denn russischen Weg finden, und nicht in das “4. Reich Europa” eingegliedert werden. Entnazifizierung?
Das ist es, was russische Medien in Russland verbreiten. Die Aufteilung Europas nach dem Zusammenbruch der EU, sie wird längst in russischen Medien diskutiert, unter anderem eine Aufteilung, nach der es ein neues Österreich-Ungarn unter Führung von Orban geben soll, das Baltikum, Polen und Ostdeutschland fallen zusammen mit der Ukraine an Russland, der Rest bleibt halt westlich-imperialistisch unter der Führung der USA, zunächst. Aber im Grunde möchte man ein eurasisches Bollwerk, dass dem US-Imperialismus als Block etwas entgegenzusetzen hat. Und ein Großrussland mindestens in den Grenzen der ehemaligen Sowjetunion. Schlägt in die Kerbe unserer Linken, aber eine der bitteren Wahrheiten ist auch: Putin ist kein Linker. [...]