die Kernfrage ist, warum gibt es augenscheinlich nun mehr Menschen mit solchen abnormen Fantasien.
Schon der Denkansatz „Kindesmissbrauch = Pädophilie“ ist falsch. Tatsächlich machen pädophile Neigungen nur einen geringen Anteil an Missbrauchsfällen aus. Und während männliche Täter tatsächlich mehrheitlich angeben, dass es ihnen bei der Tat um die Befriedigung des Sexualtriebes gegangen sei (schon das heißt aber noch lange nicht, dass sie wirklich pädophil sind), spielt bei weiblichen Täterinnen eher das Gefühl von Macht und Kontrolle eine tragende Rolle. Geschlechtsunabhängig sind zudem eigene Missbrauchserfahrungen ein Risikofaktor.
Die Politik hat einen kritisierten Vorschlag gebracht, der auf Widerstand stößt, also müssen wir alle, die Kritisieren, bessere Vorschläge unterbreiten.
Tun wir doch: Die Strafverfolgungsbehörden müssen besser ausgestattet werden, und zwar nicht mit schärferen Überwachungswerkzeugen, sondern mehr Personal. Obendrein sind mehr Schulungen wichtig, um die Warnzeichen frühzeitig zu erkennen, da besteht insbesondere bei den Jugendämtern gewaltiger Aufholbedarf. Das Cyber-Grooming, was mit der Chatkontrolle (u.a.) angeblich ins Visier genommen werden soll, macht ebenso wie Pädophilie nur einen geringen Anteil der Missbrauchsfälle aus. Der allermeiste Kindesmissbrauch wird von Mitgliedern der eigenen Familie oder Vertrauenspersonen aus dem näheren Umfeld begangen. Und dann gibt es da auch noch die katholische Kirche (warum eigentlich, jede andere Institution, in der in derartigem Umfang organisierter Kindesmissbrauch stattfände, wäre längst verboten worden und die Verantwortlichen hinter Schloss und Riegel)...
Ich denk, jeder der ein halbwegs normales Bewußtsein hat, sucht hierzu Hilfe.
Dass das Hilfsangebot ausgeweitet werden muss, steht außer frage.
Das ist nicht gesagt. Solange schon die bloße Existenz solcher Neigungen mit einem Stigma verbunden ist, werden sich viele genau überlegen, ob sie diesen Schritt wirklich wagen. Ähnlich wie bei psychischen Leiden braucht es hier Aufklärung und einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema, an der Stelle wäre bei den allermeisten Leuten etwas Selbstkritik angebracht. Auch Menschen, die du nicht leiden kannst, egal wie gut und verständlich deine Gründe sein mögen, haben ein Recht auf einen respektvollen Umgang, solange sie niemandem schaden.
Die Problematik ist doch, wie werden die Täter gefasst?
Die Problematik sollte sein, wie man Straftaten verhindert. Und das funktioniert weder mit „Abschreckung“ durch schärfere Strafen, noch mit dichterer Überwachung. Du kannst ein soziales Problem nicht mit Technologie lösen. Um mal den Lieblingsspruch der NRA, „Waffen töten keine Menschen. Menschen töten Menschen.“, zu adaptieren: Überwachungstechnologie hilft keinen Menschen. Menschen helfen Menschen.
Alles ok und gute Vorschläge, hilft aber den schon mussbrauchten Kindern nix und die nicht gefassten Täter sind wir dann auch nicht habhaft geworden...
Anlasslose Totalüberwachung hilft den bereits missbrauchten Kindern erst recht nicht, und denen, die in Gefahr sind, missbraucht zu werden, ebenfalls nicht, aber das hatten wir schon.
Man kann natürlich der Auffassung sein, dass jeder einzelne verhinderte (oder geahndete) Fall ein Gewinn sei, koste es was es wolle, aber damit befindet man sich dann eben nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes sowie der Europäischen Menschrenrechtskonvention und Charta der Grundrechte. Denn aus verfassungsrechtlicher Sicht muss eine Grundrechtseinschränkung, wie die geplanten Maßnahmen,
– ein legitimes Ziel verfolgen, was nur der Schutz anderer Grundrechte sein kann, (tun sie offiziell, aber es darf bezweifelt werden, dass das angegebene das tatsächliche Ziel ist),
– die Mittel müssen geeignet sein, das Ziel zu erreichen (sind sie nicht),
– erforderlich sein, es dürfen also keine milderen Mittel existieren, mit welchen das Ziel zu erreichen wäre (tun sie aber; mal abgesehen davon, dass wie gesagt schon an der Wahrhaftigkeit des Ziels gezweifelt werden darf)
und selbst, wenn diese Kriterien alle erfüllt sind (wer aufgepasst hat, weiß es schon: sind sie nicht), muss dabei grundsätzlich die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, bei der Abwägung verletzter und zu schütztenden Grundrechte darf die Grundrechtseinschränkung nicht in einem totalen Missverhältnis zur Schutzwirkung auf der anderen Seite stehen. Und genau das tut die geplante Chatkontrolle.
Im Übrigen, weil du so erpicht darauf erscheinst, die Täter zu schnappen: Man wird sich auch damit abfinden müssen, dass man niemals alle Täter wird schnappen können. Klingt hart, ist aber so. Genau das ist der Unterschied zwischen einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat und einer totalitären Diktatur. Gelegentlich kommt dann mal ein besonders Geschickter davon.
Ein Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass er im Zweifel lieber einen Schuldigen davonkommen lässt als einen Unschuldigen zu bestrafen; ein Unrechtsstaat macht das genau andersrum.
Mit letzterem kannst du so lange leben, bis du plötzlich selbst der eine Unschuldige bist, und das kann dir mit Hintertüren in Chatsoftware schneller passieren, als dir lieb ist; denn sie können nicht nur von Kriminellen gleichermaßen wie von Behörden genutzt werden, sondern erlauben auch, dir Beweise unterzujubeln und somit Straftaten anzuhängen, die du gar nicht begangen hast, und dann versuche du mal, deine Unschuld zu beweisen.