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Hornissentreiber
Guest
AW: Higgs-Boson am CERN entdeckt
Du sprichst mir aus der Seele. Ich bin geradezu fassungslos über die Forschungsfeindlichkeit von manchen hier. Und das ausgerechnet in einem Forum, in dem es primär um High-Tech-Themen geht. „Ich verstehe es nicht, also ist es unnötig oder zu teuer oder einfach blöd.“
Liebe Leute, ich nenne mal ein paar Beispiele für (Grundlagen)forschung:
Als John F. Kennedy das Apollo-Programm ins Leben rief, wurden nicht zuletzt die gigantischen Kosten für dieses Unternehmen kritisiert. Die Forschung, die dafür betrieben wurde, führte unter anderem zur Entwicklung des Mikroprozessors (oder hat seine Entwicklung zumindest enorm beschleunigt). Der Grund war ganz einfach, dass man die schrankgroßen Computer dieser Zeit aus Gewichtsgründen nicht ins All bekam. Die Steuergelder, die aus den Umsätzen der Computer- und Softwareindustrie an die USA (und unzählige andere Staaten) seit den 1970er Jahren zurückgeflossen sind, dürften die Kosten für die Mondlandung um das zigtausendfache überschreiten.
Als ich vor Jahren das DESY in Hamburg besuchte (das ist gewissermaßen CERNs kleine Schwester), erfuhr ich, dass Empfänger für Gigahertzwellen an Anlagen wie CERN und DESY erstmalig unter großen Kosten eingesetzt wurden, weil dort eben auch elektromagnetische Strahlung in diesem Frequenzband auftritt. Die Hersteller nutzten die Praxiserfahrungen,die dort gemacht wurden, um ihre Produkte zu verbessern und tauglich für den Massenmarkt zu machen. Warum euch das interessieren sollte? Eure heißgeliebten Handys würden ohne elektronische Bauteile, die mit Gigahertzwellen umgehen können, nicht funktionieren, die funken nämlich alle in diesem Frequenzband. Ich wage nicht, zu überschlagen, wie viel Geld allein auf dem Handymarkt jedes Jahr umgesetzt wird.
Als der erste Laser Jahrzehnte, nachdem über seine hypothetische Existenz theoretisiert wurde, gebaut worden war, hatte niemand auch nur die geringste Ahnung, was man damit anfangen könnte. Heute sind Laser aus der industriellen Fertigung, aus der Medizin, aus der Unterhaltungsindustrie und zig anderen Bereichen nicht mehr wegzudenken und wären auch durch kein anderes Werkzeug zu ersetzen (o.k., Schallplatten funktionieren auch ohne Laser, das war es dann aber auch schon). Die Möglichkeiten des Lasers sind noch lange nicht am Ende und es kommen ständig neue Anwendungen hinzu.
Als Albert Einstein in seiner speziellen Relativitätstheorie E = mc2 schrieb, glaubte er, diese Aussage sei von rein theoretischem Wert, ohne praktischen Nutzen. Aber er erlebte noch, dass seine Formel Atomreaktoren und (zu seinem Entsetzen) Atombomben ermöglichte. Derzeit wird daran geforscht, die Energieprobleme der Menschheit mittels Kernfusion zu lösen, wenn es denn nach Jahrzehnten der Grundlagenforschung endlich einmal gelänge. Aber WENN es endlich klappt, brauchen wir uns über Energie voraussichtlich keine Gedanken mehr zu machen. Gegen einen Fusionsreaktor würde ein Kernspaltungsreaktor wie ein Teelicht neben einem Osterfeuer aussehen und das ohne die Risiken der Kernspaltungstechnik. Ach ja: auch die Kernfusion wäre ohne E = mc2 nicht möglich.
Ich vermute, ihr seid auch froh, dass es heute in der Medizin z. B. Betäubungsmittel gibt? Falls nicht, denkt bei eurem nächsten Zahnarztbesuch noch einmal darüber nach.
Ach, das ist alles schon laaange her und interessiert euch deshalb nicht? Dann stellt euch mal folgendes vor: ihr lebt in einer Höhle oder einer Lehmhütte mit offenem Feuer, tragt Tierfelle, werdet ständig von Läusen, Kälte und Hunger geplagt und müsst den größten Teil des Tages mit der Nahrungssuche zubringen, weil ihr andernfalls verhungert. Medizinische Hilfe existiert nicht, bzw. geht über gekaute Rinde und Blätter kaum hinaus und eure Lebenserwartung beträgt durchschnittlich 25 Jahre. Das, was euch von so einem Leben trennt, sind Jahrtausende der Grundlagenforschung.
Es gab immer schon Leute, die der Meinung waren, man solle doch die Mittel, die in die Forschung gesteckt werden, lieber in andere Aufgaben stecken. Die Argumente sind immer die Gleichen: „Zu teuer, wir haben größere Probleme. Die Technik, die wir heute haben, reicht doch.“ In der Regel sagen das Leute, die nicht die geringste Ahnung haben, wovon sie da reden. Erinnert ihr euch an diese unsäglichen Politiker, die jedes Mal, wenn irgend ein Irrer in einer Schule um sich geschossen hat, die schlimmen Computerspiele angeprangert haben, obwohl sie nie eines gespielt haben? Genau so verhalten sich einige hier.
Versteht mich bitte nicht falsch: selbstverständlich kann nicht jeder nachvollziehen, warum das Higgs-Boson so eine riesen Sache sein soll (falls die Entdeckung überhaupt bestätigt werden sollte). Das liegt einfach in der Natur einer High-Tech-Gesellschaft. Das Wissen ist derartig vertieft, dass man unmöglich von allem Ahnung haben kann. Es versteht bestimmt auch nicht jeder im Detail, wie aus Korn Brot und Kuchen werden kann. Seid ihr deshalb gegen Mühlen und Backöfen? Die Dinger sind nämlich echt teuer! Es kann doch nicht sein, dass ihr aus eurer Unkenntnis heraus den Schluss zieht, dass sich der Aufwand für Forschung nicht lohnt.
Das Dumme an der Grundlagenforschung ist, dass man keine Ahnung oder bestenfalls eine theoretische Vorstellung davon hat, was man eigentlich finden will. „Ich weiß nicht was es sein wird, aber ich WILL es finden!“ Das ist der vielleicht menschlichste Trieb überhaupt – die Neugier. Die Leute, die Grundlagenforschung betreiben, haben häufig keinerlei Absicht, irgend etwas mit ihren Erkenntnissen zu machen. Aber sicher ist, dass irgendwann, oft erst Jahrzehnte später, etwas daraus gemacht wird. Vielleicht werden eure Enkel einmal mit Antischwerkraftautos herumkurven, weil die Entdeckung des Higgs-Teilchens es endlich möglich gemacht hat, die Gravitation richtig zu verstehen und dadurch zu lernen, wie man sie manipulieren kann. Das ist reine Spekulation und viel wahrscheinlicher kommt etwas dabei heraus, was sich heute noch niemand vorstellen kann. Ist das nicht spannend?
Munter bleiben!
Wow, ich bin fasziniert wie in einem technik-affinen Forum wie diesem hier so viel Skepsis bis hin zur Ignoranz gegenüber Grundlagenforschung vorherrschen kann... glauben manche hier, unser gesamter technischer Fortschritt, eingeschlossen die Computer mit denen wir hier kommunizieren, ist von Bäumen gefallen?
Grundlagenforschung kann von Natur aus nicht besonders zielgerichtet und sinnvoll erscheinen, da hier ja neue bisher unbekannte Effekte und Prinzipien gesucht werden, deren Nutzen sich erst hinterher erweist. Beispiel Erfindung des Lasers, vorausgesagt 1916, gebaut 1960 - niemand hatte eine praktische Anwendung dafür! Heute findet man Laser überall, vom Laufwerk im PC über die Medizin bis wiederum zu Analysemethoden der Grundlagenforschung.
Du sprichst mir aus der Seele. Ich bin geradezu fassungslos über die Forschungsfeindlichkeit von manchen hier. Und das ausgerechnet in einem Forum, in dem es primär um High-Tech-Themen geht. „Ich verstehe es nicht, also ist es unnötig oder zu teuer oder einfach blöd.“
Liebe Leute, ich nenne mal ein paar Beispiele für (Grundlagen)forschung:
Als John F. Kennedy das Apollo-Programm ins Leben rief, wurden nicht zuletzt die gigantischen Kosten für dieses Unternehmen kritisiert. Die Forschung, die dafür betrieben wurde, führte unter anderem zur Entwicklung des Mikroprozessors (oder hat seine Entwicklung zumindest enorm beschleunigt). Der Grund war ganz einfach, dass man die schrankgroßen Computer dieser Zeit aus Gewichtsgründen nicht ins All bekam. Die Steuergelder, die aus den Umsätzen der Computer- und Softwareindustrie an die USA (und unzählige andere Staaten) seit den 1970er Jahren zurückgeflossen sind, dürften die Kosten für die Mondlandung um das zigtausendfache überschreiten.
Als ich vor Jahren das DESY in Hamburg besuchte (das ist gewissermaßen CERNs kleine Schwester), erfuhr ich, dass Empfänger für Gigahertzwellen an Anlagen wie CERN und DESY erstmalig unter großen Kosten eingesetzt wurden, weil dort eben auch elektromagnetische Strahlung in diesem Frequenzband auftritt. Die Hersteller nutzten die Praxiserfahrungen,die dort gemacht wurden, um ihre Produkte zu verbessern und tauglich für den Massenmarkt zu machen. Warum euch das interessieren sollte? Eure heißgeliebten Handys würden ohne elektronische Bauteile, die mit Gigahertzwellen umgehen können, nicht funktionieren, die funken nämlich alle in diesem Frequenzband. Ich wage nicht, zu überschlagen, wie viel Geld allein auf dem Handymarkt jedes Jahr umgesetzt wird.
Als der erste Laser Jahrzehnte, nachdem über seine hypothetische Existenz theoretisiert wurde, gebaut worden war, hatte niemand auch nur die geringste Ahnung, was man damit anfangen könnte. Heute sind Laser aus der industriellen Fertigung, aus der Medizin, aus der Unterhaltungsindustrie und zig anderen Bereichen nicht mehr wegzudenken und wären auch durch kein anderes Werkzeug zu ersetzen (o.k., Schallplatten funktionieren auch ohne Laser, das war es dann aber auch schon). Die Möglichkeiten des Lasers sind noch lange nicht am Ende und es kommen ständig neue Anwendungen hinzu.
Als Albert Einstein in seiner speziellen Relativitätstheorie E = mc2 schrieb, glaubte er, diese Aussage sei von rein theoretischem Wert, ohne praktischen Nutzen. Aber er erlebte noch, dass seine Formel Atomreaktoren und (zu seinem Entsetzen) Atombomben ermöglichte. Derzeit wird daran geforscht, die Energieprobleme der Menschheit mittels Kernfusion zu lösen, wenn es denn nach Jahrzehnten der Grundlagenforschung endlich einmal gelänge. Aber WENN es endlich klappt, brauchen wir uns über Energie voraussichtlich keine Gedanken mehr zu machen. Gegen einen Fusionsreaktor würde ein Kernspaltungsreaktor wie ein Teelicht neben einem Osterfeuer aussehen und das ohne die Risiken der Kernspaltungstechnik. Ach ja: auch die Kernfusion wäre ohne E = mc2 nicht möglich.
Ich vermute, ihr seid auch froh, dass es heute in der Medizin z. B. Betäubungsmittel gibt? Falls nicht, denkt bei eurem nächsten Zahnarztbesuch noch einmal darüber nach.
Ach, das ist alles schon laaange her und interessiert euch deshalb nicht? Dann stellt euch mal folgendes vor: ihr lebt in einer Höhle oder einer Lehmhütte mit offenem Feuer, tragt Tierfelle, werdet ständig von Läusen, Kälte und Hunger geplagt und müsst den größten Teil des Tages mit der Nahrungssuche zubringen, weil ihr andernfalls verhungert. Medizinische Hilfe existiert nicht, bzw. geht über gekaute Rinde und Blätter kaum hinaus und eure Lebenserwartung beträgt durchschnittlich 25 Jahre. Das, was euch von so einem Leben trennt, sind Jahrtausende der Grundlagenforschung.
Es gab immer schon Leute, die der Meinung waren, man solle doch die Mittel, die in die Forschung gesteckt werden, lieber in andere Aufgaben stecken. Die Argumente sind immer die Gleichen: „Zu teuer, wir haben größere Probleme. Die Technik, die wir heute haben, reicht doch.“ In der Regel sagen das Leute, die nicht die geringste Ahnung haben, wovon sie da reden. Erinnert ihr euch an diese unsäglichen Politiker, die jedes Mal, wenn irgend ein Irrer in einer Schule um sich geschossen hat, die schlimmen Computerspiele angeprangert haben, obwohl sie nie eines gespielt haben? Genau so verhalten sich einige hier.
Versteht mich bitte nicht falsch: selbstverständlich kann nicht jeder nachvollziehen, warum das Higgs-Boson so eine riesen Sache sein soll (falls die Entdeckung überhaupt bestätigt werden sollte). Das liegt einfach in der Natur einer High-Tech-Gesellschaft. Das Wissen ist derartig vertieft, dass man unmöglich von allem Ahnung haben kann. Es versteht bestimmt auch nicht jeder im Detail, wie aus Korn Brot und Kuchen werden kann. Seid ihr deshalb gegen Mühlen und Backöfen? Die Dinger sind nämlich echt teuer! Es kann doch nicht sein, dass ihr aus eurer Unkenntnis heraus den Schluss zieht, dass sich der Aufwand für Forschung nicht lohnt.
Das Dumme an der Grundlagenforschung ist, dass man keine Ahnung oder bestenfalls eine theoretische Vorstellung davon hat, was man eigentlich finden will. „Ich weiß nicht was es sein wird, aber ich WILL es finden!“ Das ist der vielleicht menschlichste Trieb überhaupt – die Neugier. Die Leute, die Grundlagenforschung betreiben, haben häufig keinerlei Absicht, irgend etwas mit ihren Erkenntnissen zu machen. Aber sicher ist, dass irgendwann, oft erst Jahrzehnte später, etwas daraus gemacht wird. Vielleicht werden eure Enkel einmal mit Antischwerkraftautos herumkurven, weil die Entdeckung des Higgs-Teilchens es endlich möglich gemacht hat, die Gravitation richtig zu verstehen und dadurch zu lernen, wie man sie manipulieren kann. Das ist reine Spekulation und viel wahrscheinlicher kommt etwas dabei heraus, was sich heute noch niemand vorstellen kann. Ist das nicht spannend?
Munter bleiben!
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