Aragorn war durch die Vorlage auf (absichtlich, da Teil seiner Tarnung) zerlumpt ausgelegt, während Geralt an keinster Stelle als heruntergekommen beschrieben wird. Ganz im Gegenteil, es wird mehrfach erwähnt, dass die Monsterjagd ein gutes Geschäft ist, seit es immer mehr Monster und immer weniger Hexer gibt - man darf also davon ausgehen, dass er i.d.R. das Geld hatte, um seine Ausrüstung in Ordnung zu halten - ebenso, wie er nach einer Pechsträhne auch mal so abgebrannt war, dass er nicht einmal genug für Unterkunft und Verpflegung hatte und (immerhin halb ernsthaft) darüber nachdenkt, Plötze zu verspeisen.
Dass es immer weniger Monster gibt, wird erwähnt. Dass es ein einträgliches Geschäft wäre, hingegen an keiner Stelle. Dafür wird übrigens an mehreren Stellen erwähnt, dass Geralt abgenutzte Kleidung trägt. Es ist auch bekannt, dass Geralt regelmäßig unter freiem Himmel schläft, wenn er gerade kein Gasthaus findet. "Zerlumpt" ist vielleicht nicht treffend für Geralt, wohl aber das typische Bild eines Typen, der immer draußen ist und von einem Tag auf den anderen lebt. Das vermittelt der Geralt aus der Serie meiner Meiniung nach zu keiner Sekunde.
Abgesehen davon wüsste ich auch nicht, was solche eine Rüstung wie in der Show gezeigt, gegen Monster aller Art bringen sollte. Dann allerdings kümmert sich die Serie prinzipiell keinen Deut darum, ob Rüstung überhaupt einen Schutz bietet. Da schneiden Schwerter ja auch einfach so durch Metallbrustplatten...
In HdR wurde andererseits beispielsweise Schildmaid Éowyn mit einer zierlichen Blondine besetzt, die kaum unterm Helm hervor kucken konnte und nach der Schlacht auf den Pelennor-Feldern und eigenhändiger Beseitigung des Hexenkönigs aussieht, als hätte sie maximal unruhig geschlafen. Und das ist nur ein Beispiel dafür, dass auch in der HdR-Verfilmung Feinheiten verfehlt wurden und sich Jackson Freiheiten gegenüber der Vorlage erlaubte.
Sich jetzt genau den einen Charakter herauszusuchen, der einigermaßen getroffen wurde, ist wenig zielführend.
Da gibt es schon einen wesentlichen Unterschied. Geralt ist der Hauptcharakter von The Witcher, Eowyn war hingegen nur eine Nebenfigur und davon auch nicht gerade die Wichtigste. Daher ist es natürlich auch sehr viel wichtiger, dass Geralt "richtig" getroffen wird. Ob und wie weit das der Fall ist, darüber kann man natürlich sprechen. Ich finde jetzt nicht, dass das völlig nach hinten los gegangen ist. Trotzdem bin ich sehr wohl der Meinung, dass man sich hier viel zu sehr an den Spielen orientiert hat und dabei die Glaubwürdigkeit ein gutes Stück weit auf der Strecke geblieben ist. Sozusagen eher cooles" Design als Glaubwürdigkeit. Das finde ich schade.
Grundsätzlich hinkt der Vergleich gewaltig: Für die rund 11 Stunden Spielzeit der HdR-Trilogie standen und 280 Millionen Dollar Budget und über vier Jahre Produktionszeit zur Verfügung, davon allein rund drei Jahre für die Pre-Production, in denen Peter Jackson jedes Detail zigmal abstimmte und dafür extra Dienstleister beschäftigte.
Für die Witcher-Serie mit rund 8 Stunden Spielzeit standen insgesamt nicht einmal zwei Jahre Produktionszeit und insgesamt nach derzeitigen Schätzungen maximal 90 Millionen Dollar zur Verfügung.
Das sind gänzlich unterschiedliche Größenordnungen.
Das ist völlig richtig, verdeutlicht aber genau das Grundproblem. Das Budget und diese Sorgfalt waren nötig, um den Herrn der Ringe adäquat auf den Bildschirm zu bringen, sprich der Vorlage wirklich gerecht zu werden und ihr den nötigen Respekt zu zollen. Natürlich sind auch die Filme von der Vorlage abgewichen. Allerdings bin ich da so gut wie an keiner einzigen Stelle der Meinung, dass man größere Kompromisse eingegangen wäre. Zumindest hatte ich während dem Schauen der Filme nicht diesen Eindruck, was deutlich wichtiger ist. Insbesondere hatten auch absolute Neulinge, die Tolkien noch nicht gelesen hatten, im Großen und Ganzen den Eindruck, dass hier eine High Fantasy Welt wirklich bis ins Detail stimmig und ansprechend in Szene gesetzt wurde. Alles wirkte wie aus einem Guss mit einem bis heute nahezu unerreichten Level an CGI und Maskenarbeit. Und ja, das mag vielleicht "unfair" erscheinen, aber HdR ist nun mal der Gold-Standard für High Fantasy auf dem Bildschirm, ähnlich wie Witcher 3 das nun im Videospielbereich ist. Da hilft es auch nicht viel, wenn man Budgets vergleicht. Man erwartet eine ähnliche Qualität oder das Ergebnis fühlt sich automatisch "minderwertiger" an.
Darüber hinaus hat man sich halt auch keinen Gefallen getan, wenn man Großteile des Budgets für Dinge verwendet hat, die mit dem Budget offensichtlich nicht adäquat umzusetzen sind. Warum man z.B. in Staffel 1 direkt DREI(!!!) große Schlachten einbauen musste (zwei in Cintra und Sodden), die alle einfach nur teilweise lächerlich schlecht aussehen, bleibt mir ein Rätsel. Das hat nicht mal GoT getan. Es hätte auch gereicht, wenn man maximal eine Schlacht anständig umgesetzt hätte oder wenn man einfach nur davon erzählt hätte. Aber das ist nur ein Beispiel. Auch sonst wirkt die Serie sehr "klaustrophobisch". Ein Großteil der Serie spielt in engen Innenräumen und die wenigen Landschaftsszenen sind eher nur so lala. Außerdem wirkt einfach alles eng und winzig, es entsteht kein Gefühl, dass wir hier von einem großen Kontinent reden. Temerien und Cintra kommen etwa als Königreiche wieder, deren Ausmaße einer kleinen Grafschaft ähneln, die man an einem halben Tag durchreiten kann. Einzig die Szenerie in Sodden hat einen gewissen Charme, wobei man hier auch direkt das CGI sieht. Natürlich ist man hier auch von HdR mit seinen gigantischen Außenaufnahmen verwöhnt, aber das ändert halt wenig. Für mich wirkt Witcher nun mal wie ein B-Movie mit einem sehr geringen Budget, das viel zu viel in einer Staffel erreichen wollte. Und dafür gibt es auch keine Ausrede, da hätte man sich auch deutlich mehr fokussieren können.
Darüber hinaus unterscheiden Witcher und Herr der Ringe auch, dass man beim HdR erkannt hat, dass die Geschichte sowohl aus Charakteren und deren Beziehungen als auch aus gesamtgesellschaftlichen und politischen Ereignissen beruht. HdR bietet sowohl die traditionalle "Queste" bzw. das Abenteuer einer Gruppe von Charakteren, die uns ans Herz wachsen können, als auch die übergreifende Geschichte, die der Motivation der Charaktere die nötige emotionale Tragweite bietet und darüber hinaus auch was fürs Auge bietet. Bei Witcher hingegen hat man sich aus meiner Sicht von Anfang an viel zu stark auf die Charaktere fokussiert und hat Witcher zu einer reinen Familiengeschichte umgedeutet, in der politische Ereignisse nur eine untergeordnete Rolle spielen. Und das sieht man meiner Meinung nach in der Serie.
Über die Plausibilität und/oder Produktionsqualität müssen wir uns dabei nicht unterhalten, darüber habe ich an anderer Stelle schon ausführlich geschrieben (Beispiel Feldschlacht Citra vs. Nilfgaard: Infanterie ohne Langwaffen gegen ein Ritterheer, nach dem ersten Zusammenprall sind sämtliche Zossen verschwunden, Fußsoldaten tragen nur/überhaupt Schwerter und keine Schilde etc.), aber auch bei HdR gab es unzählige Stellen, an denen man nur den Kopf schütteln könnte - wäre man sich nicht darüber im Klaren, dass es 1.) Fantasy ist und 2.) eine Verfilmung immer von der Textvorlage abweichen wird, weil ein visuelles Medium nun einmal etwas anders funktioniert.
über die Unterschiede siehe oben