AW: Kein geplanter Verschleiß bei Produkten laut Stiftung Warentest - Hersteller tricksen trotzdem
Ich halte die "geplante Obsoleszenz"-Debatte für künstlich aufgebauscht. Wenn ich irgendein (Öko-)Testmagazin haben, kann ich mit solch steilen Thesen meine Clickzahlen bzw. Referenzen einfach erhöhen. Also qui bono? [...]
Und solange noch genügend Menschen genau so denken und argumentieren, kann die Industrie den Kunden weiter vorsetzen, was sie will. Wir leben in einem deregulierten, entfesselten Finanzkapitalismus, der auf stetiges (in einer endlichen Welt irrationales) Wachstum ausgelegt ist. Es geht nicht nur um Gewinnmaximierung, es geht auch um permanente Gewinnsteigerung...natürlich nur dem Shareholder Value zuliebe. Produkt, Kunde und niedere Angestellte sind dabei zunächst egal. Ein solches Denken erfordert möglichst kurze Produktzyklen über sämtliche Alltagsgegenstände hinweg. Es spielt keine Rolle, was man kauft und zu welchem Preis. Ziel ist stets, dass du möglichst bald neu kaufst. Bei manchen Produkten funktioniert das, indem man dem Kunden technischen Fortschritt oder neue optische Trends suggeriert (z.B. Smartphones), bei anderen Produkten muss man nachhelfen. Die Stiftung Warentest blamiert sich mit ihrem Urteil auf mehreren Ebenen.
1. Man betrachtet eine eingeschränkte Produktpalette und lässt dabei offenbar Typen aus, für die geplante Obsoleszenz längst bewiesen ist (z.B. Drucker).
2. Man lässt sich zu der absurden Argumentation hinreißen, dass man zwar schlechte Qualität durchaus feststellen konnte, es aber nicht zu beweisen wäre, dass diese gezielt so schlecht sei.
3. Man kommt tatsächlich zu dem Schluss, dass in den letzten 10 Jahren kein Trend zu kürzeren Lebensdauern festzustellen sei. Diese Aussage ist im PCGH Artikel übrigens ungünstig zitiert. Man könnte zu dem Schluss kommen, dass sich früher auf deutlich vor 2003 bezieht. Dem ist aber keineswegs so. Mit früher meinen die tatsächlich vor 10 Jahren. 10 Jahre? Ernsthaft? Ich meine, da sitzen immerhin studierte Leute, die solche Studien durchziehen. Vor 10 Jahren war die geziele Verkürzung der Lebensdauer mit dem Wunsch nach kürzeren Produktzyklen schon in voller Fahrt...und zwar über sämtliche Gegenstände des Alltags hinweg.
Immerhin schreibt man noch, dass der Verschleiß bewusst in Kauf genommen wird.
Fakt ist, und das sollte man sich endlich mal auf der Zunge zergehen lassen, dass unsere hochgelobte Wirtschaftsordnung, der überlegene Kapitalismus, in seiner jetzigen Form nur funktionieren kann, wenn nur ein Teil der Menschheit seine Vorzüge genießt, dieser Teil auf Teufel komm raus konsumiert, und der Rest die Produkte zu den geringsten Kosten, die möglich sind, produziert. Das ist natürlich hochgradig vereinfacht dargestellt. Aber jegliche stundenlange Auseinandersetzung mit dem Thema kann man recht treffend mit diesem Satz zusammenfassen. Und in einem solchen System, darf der Kunde nunmal nicht lange an Objekt X festhalten. Er muss dazu animiert werden, schnell X 2.0 zu kaufen. Und dann X 3.0 usw. Wenn's geht schon morgen.
Ich verweise an dieser Stelle nochmal auf die sehr interessante Dokumentation
Kaufen für die Müllhalde (2010) - IMDb
In einer Zeit, in der die Menschheit Unmengen höchstwertiger, seltener Ressourcen in Alltagsplunder bindet, welcher dann mehrfach redundant die Haushalte vollmüllt, halte ich es schon fast für unverantwortlich, solche offenbar halbherzig durchgeführten Studien zu veröffentlichen, und das vermeintliche Fazit dann auch noch in einer kernigen, verharmlosenden Überschrift zusammenzufassen. Und es ist fast schon ein bißchen traurig, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die gigantischen Fehler, die unsere Spezies im hier und jetzt begeht, als "aufgebauscht" betrachtet werden.