3,5 Klinke, SD-Karte, keine dämliche Notch und eine Status-LED! Wenn da nicht nur der Formfaktor wäre.
Und Sony ermöglicht einem in der Regel nach wie vor, den Bootloader zu entsperren und damit sein Gerät zu rooten oder Custom-ROMs aufzuspielen. Gerade chinesische Smartphonehersteller verweigern einem diese Option mittlerweile gern mal komplett.
Nachdem sich mein geliebtes LG V30 vor ein paar Monaten unfallbedingt verabschiedet hat, habe ich notgedrungen zu einem Sony Xperia 5 III gegriffen, und der erste Eindruck war gelinde gesagt katastrophal. Softwaremäßig war es für mich ein Schock, wie viel weniger Einstellmöglichkeiten Sonys Android (was sich kaum vom Vanilla-Android unterscheidet) gegenüber der LG-UI bietet (du kannst nicht einmal die Systemschriftart ändern), wie viele grundlegenden Features nun direkt von Google kamen statt vom Hersteller (Telefon, Kontakte, SMS, Dateimanager, Uhr, Kalender, Galerie etc., all das war bei LG aus eigenem Haus und somit nutzbar, ohne seinen Google-Account damit zu verknüpfen), und welche Nice-to-Haves gar nicht erst enthalten waren (LG hatte z.B. eine eigene Notizblock- und eine Wetter-App, Sony hat das nicht), dafür aber vorinstallierte und damit nicht entfernbare Junkware wie Facebook, LinkedIn, Netflix, TIDAL (als Software getarnte Werbung), Asphalt 9 und Call of Duty Mobile.
Und auch bei Sony besteht der „HiFi-Kopfhöreranschluss“ lediglich darin besteht, dass einige spezielle proprietäre Formate unterstützt werden. Den m.E. größten Trumpf von LG (neben der Reparierbarkeit, die bei LG immer gemessen am Durchschnitt ziemlich gut war) – 32-Bit-DAC mit zusätzlichem Kopfhörerverstärker, der auch hochohmige Kopfhörer ansprechen kann – hat bis heute kein Hersteller übernommen. Ich habe vom LG G5 sogar noch das HiFi-Modul, welches den DAC und den Verstärker an diesem nachrüsten konnte und so konzipiert war, dass man es auch per USB an anderen Smartphones einsetzen konnte. Leider hat sich rausgestellt, dass die zugehörige App von LG aus dem Play Store genommen wurde und das Modul ohne die App weitgehend nutzlos ist, da sich dann der Verstärker auch bloß nicht ansteuern lässt.
Den Verlust wettmachen können für mich das 120-Hz-Display und die bessere Kamera mit umfangreichen Einstellmöglichkeiten in der Software, wobei mir unbegreiflich ist, wieso nur im 4:3-Format die vollen 12 MP geliefert werden können, insbesondere da das Smartphone selbst in 21:9 daherkommt.
Softwaremäßig hab ich den Smartphonemarkt eh gefressen. Es hängt komplett vom Gutdünken des Herstellers ab, was man mit seinem Gerät alles machen kann, von Linux steckt nur noch der Kernel in Android. Und freie Alternativen, sofern nutzbar (wie gesagt, die Bootloader lassen sich immer seltener entsperren), decken auch nicht alle Bereiche ab; mein Versuch, LineageOS auf meinem alten LG G5 zu betreiben, ist daran gescheitert, dass dessen Kamera-App nicht einmal die Weitwinkelkamera erkannt hat, geschweige denn die Einstellmöglichkeiten von LGs Kamera-App hatte, die natürlich nicht frei als APK zu bekommen war. Ich will auch nicht von der Laune des Herstellers abhängig sein, wenn es darum geht, mir als Eigentümer meines Gerätes Vollzugriff aufs System zu verschaffen. Darüber hinaus hat man nützliche Features weggespart (Wechselakku, Kopfhörerbuchse) und unnützen Quatsch (Notch) eingeführt, nicht weil die Kunden das so wollten, sondern indem man ihnen keine Alternative mehr geboten hat, und es wurde ihnen immer auf dieselbe Weise schmackhaft gemacht: Apple hat es eingeführt, und weil Apple es hatte, wollten alle anderen es auch. Die wenigen Exklusivfeatures, mit denen die Hersteller noch versuchen, auf ihre Geräte aufmerksam zu machen, kaschieren, dass mittlerweile flächendeckend nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner produziert wird. Jeder, der Ansprüche hat, die vom 08/15-Massenmarkt abweichen, wird kein Smartphone finden, das ihn vollständig glücklich macht.
Im Endeffekt bleibt einem nur, die Hardware zu vergleichen, und da sticht Sony tatsächlich insoweit positiv hervor, indem es beim Notch-Trend nicht mitmacht, nach wie vor Kopfhörerbuchsen und Status-LEDs verbaut und bei der Kamera auf Qualität setzt. Letzteres ändert zwar nicht daran, dass bei Smartphones die Qualität aller Bildaufnahmen mit der Kamerasoftware steht und fällt, aber zumindest kann sich Sony in dem Bereich sehen lassen. Sony mag LG nicht ersetzen können, wo mir im Grunde nur ein besserer und längerer Softwaresupport gefehlt hat (der war bei LG wirklich katastrophal, ein Grund mehr, warum es offene Betriebssysteme auf Smartphones braucht), ist aber, wenn man aus dem Lager kommt und etwas technikaffiner ist, wohl das mit Abstand geringste Übel.