Warum wird an dieser Stelle eigentlich keine EU-Vereinheitlichung vorangebracht?
Die EU ist zu beschäftigt damit, den Orwell-Staat aufzubauen.
Der ganze Witz an der Sache ist, dass man die Gesetze in Deutschland nicht mal ändern müsste; illegales Glücksspiel, speziell gewerblich betriebenes, steht schon jetzt unter Strafe, und so, wie Glücksspiel in den Glücksspielgesetzen der Bundesländer definiert ist, ließen sich bezahlte Lootboxen darunter genauso subsumieren. Das Problem: Werden sie bislang nicht, weil die Spielindustrie eine Lobby hat, welche Behörden, Juristen und Politikern den Floh ins Ohr setzt, dass man ja nichts von Wert gewinnen könne und es demnach kein „echtes“ Glücksspiel sei. Erstens: Wenn die „Gewinne“ nichts wert sein sollen, warum erdreistet man sich dann, echtes Geld dafür zu verlangen? Und zweitens: Wenn die Gesetze zur Glücksspielregulierung in erster Linie dazu dienen, Spieler vor unkontrollierten Verlusten (mit allen Problemen, die das nach sich zieht) und Spielsucht zu schützen, und nicht etwa, sie vor zu hohen Gewinnen zu bewahren, sind echte Gewinne von Wert im Grunde völlig entbehrlich. Sobald das Spiel zufallsbasiert mit unbekanntem Ausgang ist und sie als Spieler Geld für die Teilnahme zahlen müssen, sind alle Voraussetzungen erfüllt, um die Schadwirkungen, vor denen die Glücksspielgesetze primär schützen sollen, eintreten zu lassen.
Um die Frage, ob bezahlte Lootboxen denn nun „simuliertes“ oder echtes Glücksspiel seien, ein für alle Mal zu beantworten: Sie sind aus Spielersicht Glücksspiel mit
echtem Spieleinsatz und
simulierter Gewinnausschüttung, also mit mit
echten Verlusten und
simuliertem Gewinn. Aus Betreibersicht sind sie Glücksspiel mit
echten Einnahmen und
simulierten Ausgaben, also mit
echtem Gewinn und
simulierten Verlusten.
Sie nicht unter die Glücksspielregulierung fallen zu lassen, nur weil es an den Gewinnen „von echtem Wert“ fehlt, ist, wenn man nach dem Ziel der Gesetzgebung geht, nicht nur völlig widersinnig, es führt auch zu der absurden Situation, dass ein Siebzehnjähriger sich nicht einmal für zwei Euro ein Lotterielos kaufen darf, das ihn theoretisch zum Millionär machen könnte, aber ein Zwölfjähriger ganz legal drei- oder gar vierstellige Beträge in FIFA & Co. oder irgendwelchen Mobile-Gacha-Games für Lootboxen verballern darf, ohne dass er Aussicht darauf hätte, auch nur seinen Einsatz jemals wiederzusehen. Und die Items, die man gewinnen kann, kosten den Betreiber nichts, lassen sich endlos reproduzieren (es ist einfach nur eine Änderung von Bits im Spielstand des Spielers) und gleichzeitig vom Spieler nicht mehr monetär verwerten. Selbst bei Plattformen wie dem Steam-Marktplatz erhält man nur „Guthaben“, welches sich wieder auf der Plattform einlösen lässt; der Käufer muss dafür beim Plattformbetreiber (Valve) in Vorkasse gehen, um selbst Guthaben aufzuladen, und das Guthaben lässt sich nicht wieder auszahlen, das Geld bleibt in jedem Fall beim Betreiber, in dem Fall eben Valve (die auch noch von jeder Transaktionen einen Teil als „Gebühr“ abzweigen, sodass eingezahltes Geld auch noch eine Halbwertszeit hat).
Bezahlte Lootboxen sind nicht nur echtes Glücksspiel, sie sind
schlimmer als klassisches Glücksspiel, wie man es von Lotterien und aus dem Casino kennt, weil die Spielbetreiber geschickt ihr finanzielles Restrisiko, das ihnen sonst durch Gewinnauszahlungen entstünde, aus der Gleichung entfernen, es ist also Glücksspiel, wo die „Bank“ gar kein Risiko mehr trägt. Die Glücksspielgesetze sollen aber unter anderem genau dem einen Riegel vorschieben, indem es zum Beispiel in vielen Ländern Auflagen dafür gibt, wie die Gewinnchancen an Spielautomaten programmiert sein müssen, damit der Spieler nicht völlig unrechtmäßig übervorteilt wird – auch hier ist die Videospielmafia bislang fein raus, weil niemand kontrolliert, wie sie die Gewinnchancen ihrer Lootboxen manipulieren.
Den Firmen ist dabei offenkundig selbst klar, wie schwach das Fundament für ihr Hauptargument ist, deswegen hält sie sich als Reserve zwei weitere Bullshit-Argumente bereit
1. Man zahle ja in vielen Fällen gar nicht für die Lootboxen, sondern für die Ingame-Währung, mit der man dann Lootboxen kaufen könne. Außerdem könne man mit der ja oft noch andere Sachen kaufen.
2. Man „gewinne“ doch in jedem Fall „etwas“; wenn man auch nicht die superstarken, superseltenen Items aus der Lootbox bekomme, werde doch immer irgendwas aufgegeben, demnach sei es „kein Verlust“ und damit auch „kein Glücksspiel“.
Zu 1.: Spoiler: Genau so läuft das im Casino auch. Du setzt kein Bargeld am Roulettetisch, sondern kaufst Jetons (ugs. Chips), welche du dann bei allerlei Spielen einsetzen kannst, in einigen Casinos lassen sich auch andere Dienstleistungen damit bezahlen, z.B. Getränke an der Bar. Der große Unterschied ist, dass du deine Jetons jederzeit wieder in echtes Geld zurücktauschen kannst, bei digitalen Münzen, Juwelen oder welcher Bullshit-Fantasiewährung auch immer in Videospielen ist diese Möglichkeit bewusst nicht vorgesehen. Deswegen sollen Lootboxen kein Glücksspiel sein? Denkt ihr ernsthaft, dass Casinos, wenn sie nur die Möglichkeit abschafften, Jetons wieder in Echtgeld zurückzutauschen, fortan von den Behörden nicht mehr als Glücksspielstätte eingestuft würden und sich an keinerlei Auflagen mehr hinsichtlich Jugendschutz, Suchtprävention, Alkoholverbot etc. halten müssten? Und bevor irgendwer behauptet, dass ohne Geldgewinne ja niemand mehr spielen würde: Lootboxen beweisen das absolute Gegenteil.
Zu 2.: Nach der Logik könnte sich jedes Casino herauskaufen, indem es jedem für die bloße Teilnahme eine kleine Sachprämie ausstellte. Die Japaner lösen das z.B. bei Jahrmarktspielen ganz klassisch, indem man bei einer Niete eine Packung Papiertaschentücher als „Trostpreis“ bekommt. Könnten die Casinos ja dann auch machen, um nicht mehr unter die Regularien zu fallen. Und selbst dann hätten sie immer noch mehr Ausgaben als ein Videospielpublisher, in dessen Spiel digitale Items reproduziert werden. Beim Lotto bekommt man übrigens auch immer „etwas“, nämlich ein Stück Papier, die Quittung. Wenn sich herausstellt, dass es eine Niete war, kann man immer noch auf dem Papier kritzeln und es als Notizzettel benutzen, ist doch immerhin „etwas“.
Ich habe mir schon ein paar Mal überlegt, ob ich nicht einfach mal mehrere FIFA-Teile der letzten Jahre kaufen, das System umfangreich dokumentieren und mich dann wegen Teilnahme an illegalem Glücksspiel selbst anzeigen sollte (ja, auch die Teilnahme als Spieler ist strafbar). Eigentlich müsste die Staatsanwaltschaft schon von Amts wegen ermitteln, aber mit so einer Anzeige hätte sie keine Ausreden mehr. Und wenn sie mich verknacken wollten, um einen Erfolg vorzuweisen, müssten sie dafür zu dem Schluss kommen, dass FIFA illegales Glücksspiel ist, und da könnte ihnen ja mal auffallen, dass es davon eine ganze Industrie da draußen gibt, die seit Jahren unter dem Radar der Behörden operiert. Wie bequem man den Staatshaushalt mit den Geldstrafen, die es da zu holen gibt, sanieren könnte...