"Mit Postal 2 sei Hatred nicht zu vergleichen, da es nicht den kleinsten Hauch von Humor oder Sarkasmus gäbe. Es gehe nur darum, so viele unschuldige Leute wie möglich zu ermorden."
Kann man das Spiel schon irgendwo kaufen/runterladen oder woher wissen diese Erleuchteten das so genau? Oder basiert diese Annahme einzig auf einem zweiminütigen Trailer und der Beschreibung auf der Greenlight Seite? Bevor man das Spiel nicht komplett durchspielen kann, würde ich mit solchen Aussagen sehr vorsichtig sein. Vielleicht ist das Spiel ja gar nicht so böööööööööse? Vielleicht gibt es ja eine Auflösung, die so gar nicht gewaltverherrlichend ist? Ein American Psycho von Eastin Ellis stellt auch einen bösen Charakter dar, einen sadistischen, gestörten Mörder. Erst im Verlauf der Handlung verwischen die Ebenen zwischen Fiktion und Realität, zwischen realer Handlung und reiner Einbildung. Am Ende ist sich der Leser bzw. Zuschauer nicht mal mehr sicher, ob überhaupt irgendwelche bösen Taten statt gefunden haben oder ob sie nur in der Fantasie der Hauptfigur "real" waren...
Das ist auch eine schöne Überleitung zu Hatred. Für mich ist das Spiel bzw. der Umgang damit exemplarisch für den Kulturkrieg, der seit Jahrzehnten im Medienkosmos tobt und erst kürzlich in der "Gamergate-Affäre" gipfelte, zwischen sozialen Aktivisten, die einen kausalen Zusammenhang zwischen Spielinhalten und der Realtität sehen, und Leuten, die keinen direkten oder messbaren Zusammenhang sehen. Dabei hat die Psychologie bereits in mehreren Studien keinen Nachweis für eine kausale Wirkkette zwischen dem Wahrnehmen von Spielinhalten und daraus resultierenden Handlungen feststellen können. Die Frage bleibt natürlich, ob der Konsum kultureller Güter wie Spiele unsere Wahrnehmung der Realität bzw. unser generelles Wertesystem ändern können. Auch dafür gibt es zumindest keinerlei direkten wissenschaftlichen Beleg, wobei das natürlich naturgemäß schwierig zu messen ist. Die generelle Frage dahinter ist, ob wir davon ausgehen, dass ein "normaler" erwachsener Mensch in der Lage ist, zwischen Realität und Spiel zu unterscheiden. Leute, die Spiele wie Hatred generell verbieten lassen wollen, sehen das in der Regel nicht so (mir fällt zumindest kein anderer Grund für ein generelles Verbot ein). Damit spricht man aber prinizipiell erst mal jedem erwachsenen Zocker diese Möglichkeit zur Differenzierung ab, schlimmer noch, man beleidigt ihn oder sie sogar direkt, da das im Prinzip nichts anderes aussagt, dass derjenige, der Gewalt in Spielen mag, auch in der Realität schon gewalttätig ist oder es bald werden könnte. Die praktische Erfahrung vieler Menschen widerspricht dem aber grundlegend, was auch in den psychologischen Studien nachgewiesen wurde. Spieler, die auf gewalttätige Spiele stehen und bereits viele davon konsumiert haben, neigen eben nicht zu mehr Gewalt als diejenigen, aus der jeweiligen Kontrollgruppe, die in der Regel keine derartigen Spiele zocken.
Und selbst wenn sich irgendwann doch noch herausstellen sollte, dass ein genereller (sehr wichtig: zu unterscheiden vom Einzelfall!) kausaler Zusammenhang zwischen dem Konsum gewisser Spielinhalte und dem Verhalten in der realen Welt besteht (was der derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntis klar widersprechen würde), dann müssten wir uns immer noch fragen, wo wir eigentlich die Grenze ziehen wollen zwischen Freiheit und Zensur. Was ist uns unsere Freiheit wert und wie weit sind wir bereit sie einzuschränken? Freiheit (und darunter zentral auch "Freiheit des Ausdrucks") ist ein zentraler Welt unserer westlichen Gesellschaft und das mit gutem Grund. Nach dem Entzug von Leben und Würde (was beides laut unserem Grundgesetz verboten ist), ist der Entzug der persönlichen Freiheit die höchste Strafe, die unsere Gesellschaft für schwere Regelverstöße vorsieht. Daran sieht man, wie wichtig uns generell Freiheit ist. Wir müssen uns in der Tat fragen, ob wir bereit sind Freiheit einzuschränken und in wie weit, nur um etwaigen Regelverstößen vorzubeugen (man verhindert sie nicht, sondern verringert praktisch nur die Chance). Das ist ein sehr heikles bzw. diffiziles Thema, das man nicht auf die leichte Schulter nehmen können. Aber das ist wie gesagt überhaupt erst dann relevant, wenn es überhaupt erst einen generellen kausalen Zusammenhang geben würde. Soziale Aktivisten (von gamergate Anhängern schmählich "Social Justice Warriors" genannt, darunter fallen z.B. auch extreme Feministen) glauben zumindest daran und große Teile der US-Spielepresse wurde regelrecht von derartigen Leuten unterwandert (unter anderem bei Polygon, Gamespot, GiantBomb, Kotaku, usw). Derartiger Glauben führt z.B. dazu, dass GTA V in Australien verboten wurde, oder dass dort generell Spiele verboten sind, in denen man virtuell Drogen konsumieren kann (da auch hier der reine Glaube vorherrscht, dass virtueller Drogenkonsum zu realem Drogenkonsum verleiten könnte).
Als Anhänger von Wissenschaft und Forschung, der an den freien Willen und den Wert der Freiheit glaubt und sich selbst in der Lage sieht, zwischen virtuellen Inhalten und realem Verhalten zu unterscheiden, kann ich das alles nur ablehnen. Hatred sollte das Recht zu existieren nicht abgesprochen werden. Als kulturelles Gut kann und sollte es kritisch behandelt werden, keine Frage, aber es zu verbieten oder zu zensieren widerspricht sowohl der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis als auch dem Geist der Freiheit bei der Erstellung und Verbreitung kultureller Güter.
P.S.: An alle, die an kausale Zusammenhänge zwischen Spielinhalten und realen Verhalten glauben, empfehle ich darüber hinaus auch mal die Recherche zu Katharsis und generell zur psychologischen Theorie. So führt z.B. der Boxunterricht gewalttätiger Jugendlicher nicht etwa zu mehr "wilder" Gewalt sondern zu weniger. Boxen wird ein Substitut für wilde Gewalt. Mit einiger Berechtigung könnte man das auch auf virtuelle Inhalte übertragen. So könnte das Zocken von z.B. gewalttätigen Spielen dazu führen, dass man seine Wut in unschädlicher Weise kanalisiert. Es steht hier mit Absicht könnte, da es dazu noch zu wenige psychologisch relevante Studien gibt. Es ist jedoch bezeichnend, dass man mit einem leicht abgeänderten Ansatz das prinzipiell absolut gegenteilige Ergebnis bzw. die gegenteilige ursprüngliche Wirkrichtung erzielen kann...