AMD hat die Aufbauphilosophie verändert. Zwar gab es 2006 maximal Hexacores, aber davon wurden acht Stück in einem 48-Kern-System verbaut. Demgegenüber standen 2016 maximal 24 Kerne je Sockel (Broadwell-EX), weiterhin mit acht Sockeln wenn man wirklich viel Leistung am Stück wollte, also 192 Kerne. Jetzt erwarten uns, 8-9 Jahre später, zwar 128 Kerne pro Sockel für die Generation 2024/2025, aber mit maximal zwei CPUs. Selbst bei Intel, die es prinzipiell weiter unterstützen, ist 8-Wege in eine ganz spezielle HPC-Nische verschwunden und 4-Wege hat soweit nachgelassen, dass die entsprechenden SPR-Rapids kein EMR-Update bekommen – die OEMs haben so wenig Priorität darauf gelegt, dass die Systeme erst jetzt in den Markt kommen, nachdem die Prozessoren eigentlich schon wieder veraltet sind. Sollten es 2026 also tatsächlich 256 Kerne je Sockel werden, ergäbe das trotzdem nur 512 Kerne je System. Also für 2016-2026 gerade mal eine Steigerung um Faktor 2,7 gegenüebr der Vervierfachung von 2006 bis 2016 während der Intel-hat-keine-Konkurrenz-Jahre.
Und mit einer weiteren Verlangsamung ist zu rechnen, denn letztlich stellen alle CPU-Hersteller nur das her, was der Markt braucht. Und der Markt hat keinen Bedarf an noch mehr konzentrierter, paralleler Leistung. Mehr Single-Core-Speed? Einige Exoten nehmen das gerne, klar. Mehr Leistung pro Sockel? Noch gibt es ein paar Dual-Sockel-Systeme durch Single-Sockel zu ersetzen, um ein paar Cent einzusparen. Aber es werden weniger. Wer mehr Parallel-Leistung will, geht heutzutage entweder für kleine Aufgaben mit viel Datenaustausch auf GPUs oder auf über Netzwerk verbundene Cluster aus mehreren Single-/Dual-Racks. Denn kein CPU-Hersteller der Welt kommt um Amdahl herum: Parallelisierbarkeit innerhalb einer Aufgabe ist begrenzt. Die sinnvolle Zahl von Kernen pro Aufgabe und damit zwingederweise in einem System kann nur in dem Maße wachsen, in dem auch die Leistung pro Kern wächst und die Geschwindigkeit, mit der alle Kerne mit allen Kernen kommunizieren können. Da tut sich sehr wenig. Zwei unabhängige Aufgaben kann man dagegen auch einfach auf zwei getrenten PCs erledigen und größere CPUs sind heute nur attraktiv, wenn sie pro Kern billiger werden, während vor 10 Jahren mehr Rechenleistung pro Node noch unabdingbare für bestimmte Aufgaben war.
Ähnliches gilt übrigens auch für den Desktop: 2006 hatten wir maximal 4 Kerne, 2016 maximal 10 Kerne. Bei konstantem Tempo wären für 2026 also 25 Kerne zu erwarten, aber für Zen 5 werden stehen nur 16-Kerner auf der Liste und Zen 6 dürfte nicht vor 2027 folgen. Wenn AMD dann tatsächlich auf 32 Kerne im (mutmaßlich) Sockel AM6 hochgeht, ergibt sich rechnerisch wieder eine leichte Beschleunigung gegenüber der Intel-only Jahre, aber da glaube ich noch nicht dran und im langjährigen Mittel wäre man damit auch nur "im Plan", nicht bei einer Beschleunigung. AMDs Kern-Initiative hat also bislang nur die Trennung in Mainstream und HEDT gekillt. (Sehr zur Freude der PCGH-Klientel, die vorher auf beiden Seiten der Grenze verteilt waren. Aber Einsteiger sind von den Preisen, die für die untere LGA1700-Mittelklasse oder gar für das AM5-Gegenstück aufgerufen werden, ebensowenig begeistert, wie von den Low-End-Mainboards. Da gab es bei Sockel 1150 und FM2+ mehr fürs Geld, einfach weil diese Plattformen für günstige Systeme optimiert waren und nicht für absolutes High-End.)
Anm.: "Kerne" bezieht sich immer auf vollwertige. Mit Zen 5c werden wir sicherlich mehr als 128 pro Sockel bekommen und Intel hat Sierra Forest mit 288 Kernen pro Sockel respektive 576 Kernen je System fest für ~Mitte 2024 angekündigt. Da sollten "768 Kerne pro System" mit Clearwater für eine weitere Vervierfachung "bis 2026" klappen. Aber es sind halt nur E-Kerne für die genannte "gerne viel, Hauptsache billig"-Nische.