Blog Uncanny Valley: Ein Problem der Next-Gen Grafik

Placebo

BIOS-Overclocker(in)
Oder warum die immer besser werdenden Grafikeffekte böse nach hinten losgehen können.

Ich hasse Metro 2033. So sehr, dass ich den Nachfolger nicht eines Blickes gewürdigt habe. Und noch viel mehr hasse ich mich dafür, es zu hassen. Die Entwickler haben nämlich alles richtig gemacht, was man richtig bzw. falsch machen konnte. Ein gutes Buch als Storyvorlage, eine beklemmende Atmosphäre, geniales Design und Grafik, die perfekt auf High-End Hardware abgestimmt ist. Zumindest bei Release, wer weiß, wann hier jemand auf die Idee kommt, diesen Blogeintrag zu lesen ;) Aber trotzdem zeigt Steam bei mir elf Stunden Spielzeit an. Das ist für jemanden, wie mich, der sich zwei bis drei Spiele im Jahr kauft, erbärmlich wenig. Die elf Stunden sind genau die Zeit, die ich gabraucht habe, um das Spiel einmal durchzuspielen, mich einmal durchzuqälen.
Denn die Entwickler sind bei mir tief gefallen. Nicht irgendwo hin, sondern in das so genannte „Uncanny Valley“, auf das ich sehr empfindlich reagiere. Das, womit Metro Aufmerksamkeit erregt hat, nämlich die Grafikpracht, genau die hätte geringer ausfallen müssen. Ich wette, wäre das Spiel ein paar Jahre früher entstanden, würde ich mehr als elf Stunden darin verbracht haben.
Aber was ist das Uncanny Valley? Je realistischer Spiele werden, desto realistischer kommen einem Personen und Tiere vor, desto besser kann man sich in sie hineinversetzen. Sollte man meinen, denn genau das ist nicht der Fall. Ab einem gewissen Punk bricht die Illusion zusammen und plötzlich wirkt ein theoretisch sehr gut aussehendes Spiel schlechter, als es nach aller Logik ist. Teilweise sogar abstoßend, wie es mit mir und Metro der Fall ist. Das Gehirn weiß nicht, ob es das vorliegende Objekt als menschlich oder oder unmenschlich interpretieren soll und das ist ein größeres Problem, als es auf den ersten Blick zu sein scheint. Der gleiche Effekt tritt auch bei sehr menschenähnlichen Robotern und bei bestimmten Personen sogar bei Clowns auf. Abneigung und Angst sind die Folge.
Überwindet man diesen Punkt, nimmt der Realitätsgrad wieder zu, bis irgendwann wirklich der Fotorealismus erreicht ist. Bis zu diesem Punkt ist es aber ein weiter Weg, der vor allem mit viel Aufwand und viel Rechenleistung verbunden ist. Schon für Crysis 2 wurden alleine für den Anzug fünf verschiedene Texturen benutzt, jede mit einer anderen Aufgabe. Dass Rendertechniken, Anti Aliasing und Colour-Grading trotzdem nicht ausreichen, zeigt als eindrucksvolles Negativbeispiel der Film "Die Legende von Beowulf", bei dem die Darsteller per Motion Capture abgefilmt und die 3D-Modelle per Raytracing gerendert wurden. Mit perfektem AA, (nahezu) perfekter Beleuchtung, manueller Nachbearbeitung und ohne Renderartefakte. Davon sind Spiele doch noch etwas entfernt, und trotzdem „vernichten“ allein die Animationen den gesamten Film.
Durch die nächste Konsolengeneration wird der Effekt aber nur zunehmen oder die Spiele werden teurer. Sony und Microsoft haben schon vor einem Jahr angekündigt, dass Next-Gen Titel teilweise 70-80€ kosten werden. Nicht unrealistisch, leider. Die andere Möglichkeit wäre, Charaktere leicht zu abstrahieren, das negiert den Effekt. Bei Pixar scheint es jedenfalls zu klappen, bleibt die Frage, ob wir jedes Spiel in diesem Stil haben wollen.
 
Hervorragend geschrieben und genau nach meinem Empfinden - Spiele sollten eben genau das sein dürfen: Spiele. Deswegen finde ich Aussagen wie "beste Grafik ever" auch immer sehr amüsant.

Einerseits ist "gut" nicht empirisch definierbar (es drückt lediglich subjektive Wahrnehmung im positiven Spektrum aus) und deshalb als Anhaltspunkt etwa so ausdrucksstark wie "Ich fahre gelbe Autos weil Wolken normalerweise Pizza". Andererseits ist "Grad an Realismusdarstellung" - womit Grafik anscheinend zur Zeit assoziiert wird - keinesfalls ein Kriterium für die Qualität der Darstellung.

Ich ziehe als Beispiel sehr gerne Final Fantasy 9 hinzu. Über den Grad an dargestelltem Realismus (seien es die Charaktere, die Welt oder auch simple Dinge wie physikalische Unmöglichkeiten) lässt sich eher weniger streiten, er tendiert gegen 0 - dennoch ist die Darstellung von herausragender Qualität - aber warum? Weil sich graphische Darstellung und Atmosphäre gegenseitig ergänzen! (Man stelle sich zum Beispiel Zidane in Crysis vor, oder ein Squad BF4-Soldaten als Endgegner in FF9 - ich denke, damit sollte jedem klar sein, worauf ich damit hinaus will)
 
Danke :) ich nehme mir auch schon etwas Zeit, so einen Eintrag zu schreiben.

Crysis ist für mich das Spiel, wo ich sage "Wow, ihr habt es geschafft, ihr habt das Problem hinter euch gelassen!". Ich bin dem Slogan "beste Grafik ever" also nicht komplett abgeneigt. Aber wie viele Studios können da mithalten? Animationen können nicht durch Rohleistung kompensiert werden, falsche Einstellungen bei Subsurface Scattering (SSS, Lichtstreuung in Stoffen, wie z.B. Haut, Marmor, Wachs...) auch nicht. Wenn du eine Person findest, die mir SSS gut erklären kann - ich geb dir mehr als ein Bier aus. Mir ist niemand bekannt, der das überhaupt selbst kapiert hat, auch unter denen, die damit ihr Geld verdienen. Selbst die kopieren die Einstellungen nur, die irgendwann jemand mal herausgefunden hat (natürlich werden, irgendwo weit draußen, Personen sein, die da vollkommen durchsteigen).

Ich muss zugeben, Final Fantasy habe ich nur einmal selbst gespielt. Das war der Tag, an dem ich den Spielstand eines Kumpels überspeichert habe :ugly: Aber ich weiß, was du meinst :D
Ich finde den Begriff Grafik etwas zu weit gefächert für Wertungen. Art-Design und Engine sollten zumindest als Unterpunkte getrennt sein. BF und Rage sind beides Shooter aber die "Grafik" zu vergleichen, finde ich absurd, um mal ein Beispiel zu nennen.
 
SSS ist doch simulierte Lichtbrechung und -streuung, richtig?

Naja, es gibt einen Brechungsindex für jedes lichtdurchlässige Material, damit lässt sich der Brechwinkel unter Berückichtigung der Materialbeschaffenheit und des Einfallwinkels berechnen, da dies jedoch keine Konstante ist (licht, das senkrecht auftrifft, wird zum Beispiel gar nicht gebrochen).
So etwas unter Berücksichtigung eines veränderbaren Blickwinkels auch nur annähernd realistisch und trotzdem "durchgehend" darzustellen (sagen wir in 0.5°-Schritten) bringt schon bei einzelnen Objekten ganze Rechnercluster zum Glühen (Wir haben sowas mal in Physik durchrechnen lassen. Ein Minicluster aus 3 Rechnern mit 6 Xeons drin war knapp 1.5 Stunden lang beschäftigt, das bei fünf Gläsern Wasser zu berechnen, wenn man den Sonnenverlauf von 0600 bis 1800 berücksichtigt. Am Ende gab es ein 3d-Modell mit Zeitachse, das knapp 2TB gross war).
Ich denke, die Spieleentwickler werden noch eine Zeit lang bei Annäherungen bleiben...




Das Problem der Realismusschiene ist halt, dass sie zum Scheitern verdammt ist - egal wie "gut" es aussieht, wenn man kurz den Kopf hebt und aus dem Fenster schaut, kann auch Crysis nicht mithalten. Gute Ideen werden durch den einfachsten Vergleich kastriert, den es überhaupt gibt, ist es doch permanent um uns herum.

Deshalb bevorzuge ich auch Artdesigns, welche eben bewusst nicht "echt" sein wollen. Als Beispiel werfe ich einfach mal Trine 2 ein, ein 2D-Spiel auf Frostbite-Basis. DAS ist für mich Qualitätsarbeit, nicht Crysis 3 oder BF 4.
 
Ja, genau das macht SSS, allerdings eben nicht an den Materialoberflächen (wie bei einer Linse), sondern im Material selbst. Mit einem einfachen Brechungsindex ist es da leider meistens nicht mehr getan (wobei tatsächlich einer mit drin ist). Natürlich kann man das extremst genau berechnen aber für Spiele reichen meistens drei Ebenen: Haut, Innere Hautschichten/Fleisch und Gegenlicht. Das sieht dann (richtig gemacht) auch schon gut aus. Hier gäbe es z.B. zwei solche Beispiele, wobei beides keine Spiele sind [1] [2] Da würde ich nicht mehr vom Uncanny Valley sprechen.

Und du verwechselst etwas: eine Überwindung des Uncanny Valleys heißt nicht, dass damit der Fotorealismus erreicht ist. Es geht in Sachen Realismus dann ganz normal weiter aufwärts. Wann es aber wieder aufwärts geht, wird mit Sicherheit von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein. Bei Crysis würde ich sagen, dass sie für mich diese Stelle überwunden haben, Metro ist gnadenlos daran gescheitert. Wie gesagt, für mich.
"Zum Scheitern verurteilt" würde ich die Realismusschiene nicht nennen, eher als "viel Aufwand mit Verfallsdatum". Es gibt das hier angesprochene Problem und nach ein paar Jahren interessiert sich (ohne Mods) keiner mehr dafür, weil neuere, "realistischere" Spiele das Vergangene einfach deklassieren. Von der echten Realität ganz zu schweigen. Man kann sich aber schon darauf einlassen (wobei ich zugeben muss, dass ich kein großer Fan von Shootern bin und auch eher deine Richtung bevorzuge).
 
Zum Scheitern verurteilt war vermutlich etwas falsch ausgedrückt.

Was ich meine, ist, dass der Realitätsanspruch alternativlos ist, weil er an einem Ist-Zustand gemessen wird und letztendlich meist scheitert, weil z.B. bei Shootern eine gewisse Balance gehalten werden muss, die letztendlich auch unrealistisch ist. (Satzbau FTW :what:)

(Mein Lieblingsbeispiel: Echte Handgranaten mit Splittermantel produzieren eine tödliche Splitterwirkung in einem Bereich von ca 80x80 Metern, viel Spass damit in Battlefield. Zum Vergleich: Noshar Canals TDM ist ca 150x150m gross, eine Granate in jede Ecke und alle sind tot.).
 
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