Ich wage zu vermuten: Einen ernsthaften Konflikt mit Israel würde der Iran nicht gewinnen.
Mehr als eine "symbolische" begrenzte Maßnahme dürfte der Iran sich eigentlich nicht leisten können.
Die Frage ist, wie man "Sieg" definieren möchte:
Der Iran kann Israel rein geographisch nicht erobern, weil er keine hinreichende Marine und keine gemeinsame Grenze hat. Israel kann den Iran nicht erobern, weil es 10 km² Iran pro IDF-Angehörigen gibt (und die schießen nicht einmal alle). Auch ist unwahrscheinlich, dass Israel genug konventionelle Waffen hat, um die iranische Infrastruktur auf gesamter Fläche zu zerstören oder, wenn sich der Iran nicht komplett bescheuert anstellt, auf diese große Entfernung (=> Anflug vorhersagbar) das komplette mobile militärische Inventar des Irans auszuschalten. (Vom verbunkerten ganz zu schweigen.) Umgekehrt ist das zahlenmäßig große Arsenal des Irans technisch größtenteils so schwach, dass nicht viel durch die israelische Abwehr durchkommen dürfte und somit ebenfalls nur einen kleinen Teil des eigentlich kleinen Israels beschädigen kann.
Solange Netanjahus Regierungspartner also nicht zum Atomkrieg eskalieren, ist das Maximum auf beiden Seiten eine schwere Störung der gegnerischen Wirtschaft und Tötung von vielleicht 1-10% (höhere Zahl = absoluter Best respektive Worst Case) der gegnerischen Bevölkerung und/oder Militärs. Nur ein Idiot oder Psychokiller würde bei solchen Voraussetzungen überhaupt den aktiven Kampf suchen (also z.B. Bombenanschläge im anderen Land verüben oder Raketen dahin schießen), aber die Gegend ist offensichtlich reich an Idioten, Psychos und Killern. Somit stellt sich die Frage, was ein solcher als "Sieg" definieren würde?
Imho verlieren da alle. In der gesamten Gegend. Seit Jahrzehnten. Jeden einzelnen Tag.
Wie schon mehrfach geschrieben: sie hätten einfach die Geiseln freilassen können. Das hätte viele Menschenleben gerettet.
Die Hamas hat seit Ewigkeiten angeboten, die Geiseln gegen dauerhaften Frieden freizulassen. Aber Netanjahu hat das ausgeschlagen und den Tod aller Hamas-Mitglieder versprochen. Sollen die auf gut Glück ihr einziges Verhandlungspfand laufen lassen und hoffen, dass Netanjahu sich von alleine umbesinnt? Durch guten Zuspruch seiner Minister, die sämtliche Palästinenser als zu vertreibendes Vieh betrachten?
Ich gebe zu, dass das den Geiseln gegenüber human gewesen wäre. Aber zu erwarten war das zu keinem Zeitpunkt. Wer in Gaza aufgewachsen ist, hat selten das Gefühl, Israelis so Humanität zu schulden und diejenigen, die die Geiseln genommen haben, dürften als allerletze dazu zählen. Ursprünglich war sogar befürchtet worden, dass ein Massaker unter den Geiseln droht - aber bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass eine bewusst getötet wurde. (Im Gegenteil: Die Todesquote unter den Geiseln ist, soweit man weiß, deutlich niedriger als unter Hamas-Mitgliedern allgemein, obwohl sich die Geiseln notgedrungen unter letzteren aufhalten müssen. Heißt im Umkehrschluss, das die Hamas ihre wenigen besonders sicheren/verbunkerten/geheimen Aufenthaltsräume für die Unterbringung der Geiseln nutzt, anstatt sich selbst in dieser relativen Sicherheit zu verstecken.)
Das sieht schlimm aus, wenn sich Reporter schützen müssen.
Immerhin können sie das in Israel. Aus Gaza berichtet ja selbst Al Jazeera praktisch nicht mehr, da gibt es nur noch die unmittelbaren Kriegsbeteiligten und Kriegsopfer als Quelle.
Was ich meinte, während Israel seine Feinde effektiv eliminiert, schaffen es Israels Feinde nicht wen anders als Zivilisten zu töten.
Daher ist deine Umkehr meiner Aussage nicht zulässig.
Diese Sichtweise ist falsch. Anschläge richten sich zu einem erstaunlich großen Teil auf israelische Sicherheitsbehörden und Militärs, nur wird über die Konflikte in den besetzten Gebieten viel weniger berichtet, als über die richtig üblen rein zivilen Amokläufe mitten in Israel. Die sind traurig, aber extrem selten. Genauso schießt die Hisbollah nicht wahllos nach "Nordisrael", sondern zielt, soweit das mit ihrer Technik möglich ist, auf IDF-Stellungen.
Ergebnis: Von 2008 bis 2023 wurden 306 Israelis getötet, davon waren 132 (43%) Soldaten oder vergleichbare Truppen. Weitere 94 = 31% waren Siedler, welche man aus Sicht derjenigen, die mit Waffengewalt von ihrem Land vertrieben wurden, wohl zumindest nicht als "Zivilisten" bezeichen sollte. Zählt man sie gar nicht mit, haben anti-israelische Angriffe zu 62% Kämpfer getroffen. Zählt man die Siedler als Angreifer sogar 74%. (Die Angreifer werden aus ihrer Sicht noch vier weitere nicht-Siedelnde Israelis, die es im Westjordanland erwischt hat, als "Eindringling" zählen.)
Zum Vergleich: Von den 6388 Palästinensern, die im gleichen Zeitraum getötet wurden, zählen 3786 als gesichert zivil und weitere 1582 sind umstritten. Israel hatte also minimal 16% bis maximal 40% Trefferquote respektive 60% bis satte 84% ""Kollateralschaden"" und eliminiert somit nicht "effektiv" seine "Feinde", sondern trifft zu einem höheren Teil Unschuldige. Und das in insgesamt 20 mal so großem Umfang.
Seit dem 7. Oktober wiederum hat das israelische Militär selbst mehrfach Quoten von 1/3 bis 1/2 Hamas-Mitgliedern und den Toten gezählt, also 33%-50% Trefferquote gegen 50-66% ""Kollateralschaden"". Die Gesamttodeszahlen liegen bei 41000 bestätigten, geschätzten 50000 inklusive Verschütetter (die indirekt durch Kriegsfolge getöteten zählt niemand) gegenüber 17000 laut Israel erwischten Hamas-Angehörigen. Das ergibt
33% bis 41% Trefferquote - wenn man Israel hinsichtlich der Hamas-Kampftruppen-Zugehörigkeit Glauben schenkt. Allerdings haben die Israelis vor dem Krieg maximal
30000 Kämpfer insgesamt gesehen und der aktuelle Widerstand in Gaza ist offensichtlich nicht auf weniger als 50% zusammengebrochen. Nicht-israelische Quellen sprachen vor dem Krieg sogar von
teils deutlich unter 20000, sodass Israel möglicherweise nicht einmal 10000 tatsächliche Kämpfer und im Umkehrschluss bis zu 80% Zivilisten getötet hat. Da die objektive Presse aus Gaza rausgebombt wurde, wird es wohl noch lange dauern, bis irgend eine dieser Zahlen objektiv bestätigt werden kann.
Der 7.10. dagegen ist gut dokumentiert und hier lautet die offizielle Zahl der Hamas-Opfer: 1239, davon 322 Soldaten und 58 Polizisten, die in diesem Rahmen auch gekämpft haben. Macht 31% Trefferquote gegenüber 69% Terroropfer. Von Kollateralschäden braucht man bei der Hamas endgültig nicht mehr zu sprechen, die zusätzlichen Toten waren beabsichtigt. (Teilweise werden auch 1139 bei 373 Soldaten + Sicherheitskräften genannt, was 33% wären.) Soweit ich weiß wurden bei diesen Statistiken aber nicht im Einsatz befindliche Militär- und Polizeiangehörige, selbst wenn sie bewaffnet waren und in die Kämpfe eingegriffen haben, als Zivilisten gezählt. Würde man also, wie bei Palästinensern, alle Sorten von "Kämpfern" als legitimes Ziel der Gegenseite werten, wäre die Quote deutlich höher. Eine hohe Verbreitung von Waffen und nahezu flächendeckende Militärerfahrung unter der regulären jüdischen Bevölkerung gehört ja zum israelischen Sicherheitskonzept.
tl;dr:
- Israelis töten 20 bis 40 mal so viele Palästinenser, wie Palästinenser Israelis töten.
- Der Anteil nicht Kämpfender/Unschuldiger unter den durch Israel getöteten ist mindestens so hoch wie unter den durch Palästinenser getöteten, bei konservativer Interpretation 1,5- bis 2 mal so hoch und wer es drauf anlegt, kann 3:4 gegenüber 1:8 stelen, also sechsmal mehr Unschuldige Opfer.
Wie man es dreht und wendet, hat Israel bei den praktischen Aktionen also richtig Dreck am Stecken. Das einzige, was man ihnen in dem Konflikt zu gute halten kann, sind die Absichten dahinter. (Wobei das im Moment schwer fällt, solange israelische Minister von der die Entvölkerung und israelischen Besiedlung des Gazastreifens und großer Teile des Westjordanlands träumen). Aber diesen Aspekt wird die Gegenseite aus offensichtlichen Gründen genausowenig positiv bewerten, wie die Israelis auf einen palästinensischen Freiheitskampf sehen.
Mit Frieden haben die Taten auf beiden Seiten nichts zu tun, denn selsbt bei 100% Kombatantentrefferquote hätte jeder Gestorbene zehnmal mehr Angehörige und Freunde, die so rein gar nicht einsehen, warum jemand noch so schuldiges aus ihrer Mitte getötet wurde. Welche die Situation somit als Anlass nehmen, selbst in den Krieg zu ziehen bzw. das zu befürworten. => Ein Toter heute sind zwei, drei Tötende morgen. Auf beiden Seiten.