tl;dr: Die beiden Teile, die Siedler groß gemacht haben, waren eigentlich gar keine Strategie-, sondern beinahe reine Aufbauspiele.
Ressourcen-Management, Flächennutzung und Transportplanung machten einen großen Teil des Spiels aus. Im Gegensatz zu Wirtschaftssimulationen lief aber fast nichts in Menüs und fast alles auf der liebevoll animierten Karte ab, sodass man selbst in sich unvermeidlich ergebenden Wartephasen wortwörtlich dabei zugucken konnte, wie sich die eigenen Pläne nach und nach zu Erfolgen entwickelten. (Misserfolge gab es aufgrund dieses Prinzips umgekehrt selten – wer sich in Siedler 2 dämlich anstellt, kommt nicht voran. Man kann aber meist weiter rumprobieren, bis man die Lösung hat, anstatt einfach zu verlieren und vorne anfangen zu müssen.)
Eben und trotzdem der Fokus auf dem bauen und der Wirtschaft lag besaß aber das Militärsystem trotz, vielleicht auch genau deswegen, seiner einfachen Konzeption und indirekten Steuerung noch immer genug Tiefe um nicht eindimensional zu sein / werden und das obwohl es in Siedler 1 und 2 nur 4 Militärgebäude, mit unterschiedlichen Garnisonsgrößen, sowie in S2 noch das stationäre Katapultgebäude gab, sowie genau eine 1 Einheit und für diese 5 Einheitenränge.
Aber gerade dieser Aspekt der Einfachheit, in Verbindung mit diserer starken Verzahnung zum Bau und der Wirtschaft sorgte halt wieder für strategische Überlegungen und Entscheidungen beim Militär, wie upgrade ich mit meinen begrenzten Gold möglichst effektiv viele meiner Soldaten, z.B. indem ich sie in Festungen durchroutieren lasse, wo 1 Goldmünze bis zu 4 Soldaten upgraden konnte, setze ich ehr auf Qualität, oder muss ich mangels Goldvorkommen, aber viel Eisen und Kohle, auf eine breite Masse gehen, kann ich meinen Gegner einen Angriff an anderer Stelle vortäuschen, um dann aber eigentlich den Berg an seiner Grenze zu erobern und mir so seine Eisen / Kohle / Goldvorkommen zu sichern, oder seine prall gefüllten Lagerhäuser zu bekommen und ihm so wirtschaftlich stark zu schaden, weil er dort seine auf der Map begrenzten Steine lagert, kann ich evt. seine Nahrungsversorgung unterbrechen indem ich das Gebiet erobere was seine Farmen mit seinen Lagern verbindet und so seine Minen lahmlegen, die dann kein Essen mehr bekommen, rentiert es sich jetzt in diesen Grenzabschnitt zum Gegner sehr viele Steinintensive Festungen zu errichten, oder baue ich nur viele Vorpostengebäude, die mich kaum Stein kosten, um mich abzusichern, usw. usf.
All das hat man im Grunde schon ab Siedler 3 bis zu einem gewissen Grad dadurch über Bord geschmissen gehabt, das man Einheiten direkt steuerbar gemacht hat.
Klar, auch in Siedler 3 und 4 spielte bauen und Wirtschaft noch eine große und nicht unwichtige Rolle, aber schon da wurde plötzlich das richtige Micro seines Militärs und schnelles direktes reagieren mit den Einheiten weit wichtiger als in den Vorgängern, weil man nun plötzlich ohne Grenzen überall beim Gegner zuschlagen konnte, selbst im tiefsten Hinterland und ohne direkten Grenzverlauf, und wenn man beim Militär qualitativ / zahlenmäßig zu stark hinterher hinkte viel stärker im Nachteil war als noch in den Vorgängern.
Außerdem hatte man versucht auch mehr künstliche "Komplexität" in das Militärsystem zu bringen, indem man mit Priestern (göttliche Wunder), Dieben (Ressourcen klauen), Pionieren (Grenzen ohne Militärgebäude ausdehnen), 3 unterschiedlichen Einheitentypen (Schwertkämpfer, Speerkämpfer, Bogenschütze) + mobilen Belagerungswaffen mehr Tiefe reinzubringen versuchte, was schon da nur begrenzt funktioniert hat, weil es am Ende in S3 auch nur auf 1/3 Speerkämpfer + 2/3 Bogenschützen hinauslief.
Letztlich also hat sich die Reihe schon mit Teil 3 von den Wurzeln zu verabschiedet, wurde vom Spielfluss schneller und hat sich sehr viel mehr Richtung RTS orientiert.
Aber gerade diesen "perfekten flow" aus bauen, wirtschaften und diese Aspekte auch sehr ausgeprägt in ein sehr simples, aber leicht zu erlernendes und ausreichend tiefes Militärsystem mit einzubringen, plus das man bis auf den Lagerbestand keine Statistiken benötigte, hat es mMn. ab Siedler 3 nie wieder in dieser ausgereiften Kombination geschafft zu erreichen, wie noch in Siedler 2.
Nach die Siedler 2 hat man im Grunde immer nur noch versucht das Ganze System Siedler noch mehr aufzubohren, noch mehr Komplexität, noch mehr Umfang, noch mehr Möglichkeiten in das Spiel zu packen, oder aber wieder an anderen Stellen zu vereinfachen (bauen / Wirtschaft) und damit im Grunde das sehr gute Kernspielprinzip verkrüppelt.
Manchmal ist bei einer Reihe halt einfach Weniger, aber das dann auch gut, mehr und funktioniert das eine Prinzip eines Spiels halt am am Ende auf genau die eine Art am besten und das war halt bei Siedler 2 mMn. der Fall.
Es hat das genau richtig und gut gemacht was es hatte, ohne viel Ballast, ohne viel Spielereien, ohne es zu sehr zu vereinfachen, ohne Kompromisse beim Spielprinzip zu machen.
Und "Sch*eiße" nach dem Post hab ich jetzt gerade wieder richtig Lust Siedler 2 zu spielen.
